Mode, KULTUR UND PUNK in der DDR: IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT

Zum Start des neuen Films von Aelrun Goette haben wir uns gefragt, wie Designerinnen und Designer in der DDR ihre Kreativität ausleben konnten.

Christina Sahr hat für uns Nachforschungen angestellt, in Archiven gestöbert und mit Zeitzeuginnen und -zeugen geredet und herausgefunden, wie trotz des Regimes Freiräume geschaffen und genutzt werden konnten.

 

Mode, KULTUR UND PUNK in der DDR

Bekleidung fiel in der DDR in die Kategorie »Versorgung mit Gebrauchsgütern«. Und so sah sie meist auch aus. Kleidung sollte vor allem praktisch und pflegeleicht sein, und sie musste sich dem Fünfjahresplan unterwerfen. Zwar gab es die Exquisit-Läden, doch das Angebot war knapp und sehr teuer. Und auch die eigens geschaffene »Jugendmode« weckte bei der Zielgruppe wenig Begeisterung. Da half nur: selber machen. In den DDR-Haushalt gehörte eine Nähmaschine. Es wurde geschneidert und gefärbt, Windeln und Bettlaken wurden zweckentfremdet und in Blusen und Kleider verwandelt. Fortgeschrittene arbeiteten sogar mit Erdbeerfolie, doch dazu später.

 

Schnittmuster für schöne Kleider gab es unter anderem in der »Zeitschrift für Mode und Kultur, Sibylle«. Sie wurden weitergegeben, bis sie auseinanderfielen. Ebenso begehrt war die Zeitschrift selbst. Die sechsmal 200.000 Exemplare im Jahr waren immer schnell vergriffen. Was machte die »Sibylle« so begehrenswert?

 

Schnittmuster in der Sibylle. Teilweise gingen sie durch so viele Hände, dass das Papier regelrecht brüchig wurde.

 

Der Film »IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT«, der am 06. Oktober in die Kinos kommt, gibt Antworten. Regie führte Aelrun Goette, die selbst als Model für die Zeitschrift gearbeitet hat, bevor sie sich mit ihren Regiearbeiten einen Namen machte. Es geht um die Modeszene der DDR kurz vor der Wende, die Fragen nach Zugehörigkeit, Freiheit, Frauenbildern und Homosexualität. Und immer darum: Wo, wie, für wen hat die Mode in der DDR Freiräume geschaffen?

 

 

Alternative Modenschauen: chic, charmant und dauerhaft

»Wo? Überall, wenn Frau mutig genug war. Wie? Die offizielle Mode war so spuckelangweilig, das wollten wir nicht tragen. Also selbernähen! Für wen? Für uns zum Beispiel und durch unsere kreativen Köpfe und fleißigen Hände für alle, die so etwas Selbstgenähtes auch haben wollten.«

 

Diese schnörkellosen Antworten stammen von Sabine von Oettingen, einer der Gründerinnen von »chic, charmant und dauerhaft ccd«, einer Gruppe junger Menschen, die Selbstgenähtes mit dem Flair von Theaterkostümen in Modenschauen vorstellte. Und Schnittmusterbögen zum Nachnähen verteilte; so vermied man ein Verbot, das bei einer Show von »purer Illusion«, so Sabine von Oettinger, gedroht hätte. Die Kollektionen wurden im Laufe der Jahre immer aufwendiger und dramatischer, es kamen schwarzweiße Duschvorhänge und die erwähnte Erdbeerfolie zum Einsatz. Die Originalkostüme der ccd-Schauen werden heute im Depot des Deutschen Historischen Museums aufbewahrt, Sabine von Oettinger wurde zur Ikone der Szene, die sie selbst »Modepunks« nennt, und sie näht noch immer Kleider mit theatralischer Anmutung.

 

 

Die »Nähmiezen« in der Aussteigerszene

Zu denen, für die das Nähen auch politisch war, gehörte in der 1980-er Jahren Dagmar Peinzger. Parallel zu ihrer Arbeit in einer Gehörlosenschule in Erfurt führte sie eine Privatgalerie im Flur ihrer Wohnung – gemeinsam mit ihrem Mann Peter, der Maler war. Dort präsentierten sich Künstler und Literaten, die ihre Werke sonst nicht zeigen und veröffentlichen durften. Privatgalerien waren verboten, die Stasi bekam irgendwann einen Tipp und »wir suchten so schnell wie möglich das Weite und zogen nach Berlin«, so Dagmar. Auch dort konnte sie wieder an einer Gehörlosenschule arbeiten, bis sie 1983 aus der Partei austrat. Als Tochter eines hohen Funktionärs hatte sie das Regime lange nicht ernsthaft in Frage gestellt. »Doch ich war endlich klug geworden. Wenn auch spät.«

 

Die Nähmiezen auf Tour im Spreewald. »Wir quetschten uns mit den selbstgenähten Klamotten zu sechst in einen Trabbi und fuhren auf Märkte im Umland.« Photo: Dagmar Peinzger

 

Auf den Parteiaustritt folgte ein Berufsverbot, das zwar so nicht heißen durfte, aber faktisch existierte. »Man wurde nirgend mehr angestellt. So entstanden diese Aussteigergruppen.« Es gab Aussteigerszenen in Leipzig, Dresden und Berlin, ein buntes Sammelsurium von Künstlern, Intellektuellen und Oppositionellen aus der ganzen DDR. Alle lebten in besetzten Wohnungen. Der Staat war an den teils maroden Altbauten wenig interessiert, es wurde oft nicht mehr erfasst, was noch bewohnt oder bewohnbar war, das »Schwarzwohnen« war in den 80-er Jahren in manchen Kreisen weit verbreitet. Vor allem im Prenzlauer Berg. »Hier trafen wir dann die richtigen Leute. Sie machten aus Anglerbedarf Schmuck und aus Autoreifen Schuhe. Und dann gab es noch die ›Nähmiezen‹.« Denen Dagmar Peinzger sich schnell anschloss.

 

Wie aus dem Mangel Reichtum entstand

Als Material für die Kleidung dienten Dagmar neben den bereits erwähnten Windeln und Laken Verbandsmull und alte angeraute Herren-Hemden, alles gefärbt in einem Windeltopf. Die Textilfarbe dafür wurde in Ungarn gekauft. Auch Fensterputzleder aus der Drogerie kam zum Einsatz. Und Flaggenstoff. »Ein unmögliches Material, aber sehr beliebt, vor allem in schwarz. Pro Person wurden davon immer nur zwei Meter abgegeben.«

 

Ein Kleid hergestellt aus einer Gardine. Photo: Dagmar Peinzger

 

Doch nicht nur Einfallsreichtum erwuchs aus dem Mangel an regulärem Angebot, er ließ die »Nähmiezen« auch ordentlich verdienen. »Wir quetschten uns mit den selbstgenähten Klamotten zu sechst in einen Trabbi und fuhren auf Märkte im Umland. Dort haben sie uns die Sachen aus den Händen gerissen. Wir haben sehr, sehr viel Geld verdient. Steuerlich erfasst wurde nichts.«

 

»Außerdem gab es, was viele nicht wissen, auch in der DDR ein paar private Boutiquen. In Friedrichshain die »Josefine«, Betreiberin war Josefine Edle von Krepl. Und auch in Erfurt existierte so eine Boutique. In diese Läden habe ich ebenfalls meine Sachen gebracht, den Gewinn haben wir dann 50:50 geteilt.«

 

»Ich habe mich noch nie so frei gefühlt«

Dagmars Peinzgers Zeit als »Nähmieze« im Prenzlauer Berg dauerte sieben Jahre – von 1983 bis zum Mauerfall. In diesen sieben Jahren zog sie sechsmal um, verdiente sehr viel Geld, war umgeben von Menschen, die sie mochte und die untereinander sehr solidarisch waren; diese Gruppen waren dem sozialistischen Ideal vielleicht näher als die offizielle DDR. »Ich habe mich noch nie so frei gefühlt wie in dieser Zeit«, sagt Dagmar. »Nichts und niemand hat mich reglementiert.« Und noch etwas war in ihrer Welt anders als in der sonst oft grauen DDR: »Diese sieben Jahre waren ganz bunt. Die jungen Frauen, auch die Männer, sie waren bunt.«

Die „Nähmiezen“ verkaufen ihre selbstgenähte Kleidung auf einem Markt in Forst bei Cottbus. »Dort haben sie uns die Sachen aus den Händen gerissen. Wir haben sehr, sehr viel Geld verdient. Steuerlich erfasst wurde nichts.« Photo: Dagmar Peinzger

 

Sibylle und die freie Modeszene: offene Grenzen

Zwischen der freien Szene – der Gruppe »chic, charmant und dauerhaft ccd« und ihrer Nachfolgerin »Allerleihrauh« – und der »Sibylle« lassen sich Verbindungen finden: Die in beiden freien Gruppen aktive Frieda von Wild ließ sich in ihren auffälligen Kostümen von ihrer Mutter Sibylle Bergemann portraitieren, die zugleich eine der renommiertesten Fotografinnen der »Sibylle« war. Sven Marquard war ebenfalls in den freien Gruppen zu finden und auch Fotograf für die »Sibylle«. Und Frank Schäfer, Mitglied bei ccd, war zugleich Stylist für die »Zeitschrift für Mode und Kultur«.

 

Porträt von Frieda von Wild. Photo: Nikolaus Becker (Robert-Havemann-Gesellschaft/Nikolaus Becker/RHG_Fo_NiBe_278_48)

 

»Sven und icke«

Gab es Schnittmengen? Hat die alternative Modeszene, zum Beispiel über Menschen wie Frank Schäfer und Sven Marqardt, Einfluss auf die »Sybille« gehabt? Danach haben wir Frank Schäfer selbst gefragt. Und natürlich nach den Freiräumen, die sich durch Mode schaffen ließen. Seine Antwort:

 

»Liebe AGD,

erstmal vielen Dank für eure Anfrage, die ich gerne beantworte.

 

Sven und icke waren ein beachtlicher Teil der alternativen Modeszene in der DDR, ooch durch ccd. Sven durch seinen ungeheuren Blick für Licht und Gesichter, ich als Visagist, Model und Kostümhersteller. Dadurch, dass wir auch für die ›Sibylle‹ gearbeitet haben, war natürlich unser Einfluss da – dieses Heft öffnete sich ja in dieser Zeit auch für neue junge Leute. Es war kein reines Modeheft, sondern ein Journal des Zeitgefühls, der Kultur und des Lebens und da waren die wahnsinnig tollen Traumbilder von Sven natürlich genau richtig und neu. Sie hatten aber wenig mit Mode und ihrem Konstrukt der Zeit zu tun. Darum tauchen sie auch in Aelruns Film – IN EINEM LAND DAS ES NICHT MEHR GIBT- nicht auf, sondern die Fotografien von Ute Mahler, die das damalige Modegefühl perfekt widerspiegeln. Aelrun hat in ihrem Film eine Welt erschaffen, die auch von jungen Leuten heute verstanden wird, die damals noch gar nicht gelebt haben.

 

Meine Aufgabe bei der ›Sibylle‹, beim Modeinstitut, bei Exquisit und auch bei ccd war die des Stylisten, Visagisten – die bis zu den 1980iger Jahren völlig unbekannt war. Bis dahin gab es nur Redakteure, Fotografen und Models. Durch einen Glücksfall wurde ich es und blieb es in der DDR alleine. Da ich nie für Geld gearbeitet habe – unvorstellbar – und auch nichts verkauft werden musste, war unser einziges Bestreben die Schönheit, das Gefühl, der Stoff, das Gewebe, der Spaß an der Inszenierung, der Versuch etwas zu bewirken.

 

Natürlich war die Modeszene der DDR in den 1980igern wie wahrscheinlich auf der ganzen Welt an der Freiheit interessiert im visuellen, sexuellen, intellektuellen Sinn, sonst hätte es Personen wie Boy George, Isabella Blow, Vivian Westwood, Gloria von Thurn und Taxis, Nina Hagen und in der DDR eben uns nicht gegeben. Ich glaube, wir haben gar nicht anders gefühlt als andere Menschen in Europa, die sich mit Mode gefühlt und sich von ihr inspiriert haben – nur wir konnten uns völlig in Vorstellungen hingeben ohne irgendeinen Verkaufsdruck. Eine gute Schule für die Phantasie!!! Unsere Begrenzung war das Material, die Stoffe, aber das war die Herausforderung und es hat viel Spaß gemacht.«

 

Frank Schäfer und Sabin Tambrea: das Gewesene und der neue Blick darauf

In dem Film »In einem Land, das es nicht mehr gibt« wird Frank Schäfer – der dort Rudi Schäfer heißt – von Sabin Tambrea gespielt. Frank und Sabin haben sich bei einem Essen kennengelernt, zu dem die Regisseurin Aelrun Goette geladen hatte. »Wir beide waren uns auf Anhieb sympathisch. Also wirklich sympathisch, nicht einfach nur so hingesagt« beschreibt Frank Schäfer den Anfang. Sabin besuchte Frank in seinem Friseursalon, Frank besuchte Sabin zu Hause, wo sie zusammen das Drehbuch lasen. »Wir haben viel geredet, ich habe ihm mein Buch geschenkt, Sabin hat verstanden, wie ich bin, wie ich gelebt habe.« Frank sieht seinen Part aber lediglich als Fundament für die Rolle. »Es ist seine! Kunst«, sagt er und beschreibt Sabins Arbeit so: »Es kommt dem, was ich beruflich gemacht habe, sehr nahe«, aber es sei aus einer neuen Sichtweise erzählt: so, dass Menschen, die zu der Zeit noch gar nicht gelebt haben, verstehen können, wie es war.

 

Freundschaft und Parfum

Das Berufliche ist für Frank Schäfer zum einen seine Arbeit. »Als Stylist habe ich nicht alle Models selber geschminkt, das schafft man ja gar nicht. Ich habe vor allem beraten, den Models gesagt, worauf sie achten müssen. Aber ihnen auch zugehört.« Zum anderen aber, und das ist ihm noch wichtiger: »Das war eine echte Zusammenarbeit, wir waren echt befreundet. Wir hatten unglaublich viel Spaß zusammen. Und das bringt Sabin richtig gut rüber.«

 

Zu Sabin Tambreas Routinen in der Vorbereitung auf eine Rolle gehört auch, sich in einer Parfümerie auf die Suche nach einem Duft zu machen, der für ihn zu der Figur passt und den er dann während der Dreharbeiten trägt. Archaisches Eintauchen, nichts gräbt sich so tief in das Gehirn wie Gerüche. Für den Film, in dem er Rudi Schäfer spielt, ging Sabin keinen Duft suchen. Er trug den, den Frank in der Wirklichkeit trägt: Lune D’Eau von Pierre Guillaume. »Dit riecht janz toll«

 

(Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch mit Frank Schäfer haben wir auf Berlinerisch geführt. Der besseren bundesweiten Verständlichkeit halber wurde fast alles ins Hochdeutsche übersetzt.)

 

Ja, die Freiheit

Die Welten der »Sibylle« und der alternativen Modeszene waren nicht die Welt der grauen DDR, der Fünfjahrespläne und der sozialistischen Pflichterfüllung. Die Beteiligten haben aus Freude gearbeitet und dabei, wie Dagmar Peinzger, viel Geld verdient. Oder gar keins wie Frank Schäfer, der ausschließlich von seiner Arbeit im Friseursalon seinen Unterhalt bestritt und für den die »Sibylle« pures Vergnügen war. Alle lebten selbstbestimmt und folgten ihrer Fantasie.

 

Immer war Freundschaft wichtig, das gemeinsame Tun, die gegenseitige Inspiration. Für die Menschen bei der »Sibylle«, die »Nähmiezen« und die »Modepunks« war Mode Freiraum und Freiheit. Freuen wir uns gemeinsam auf den Film, der dieses Lebensgefühl ins Heute bringt.

 

cs

CCD Modenschau. Photo: Hartmut Beil (Robert-Havemann-Gesellschaft/Hartmut Beil/RHG_Fo_HBeil_065)

 

Private Modenschau. Photo: Volker Döring (Robert-Havemann-Gesellschaft/Volker Döring/RHG_Fo_VDoe_39)

 

 

 

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