Übern Tellerrand

Schöne Gebäude am schönen Park?

Zu Besuch bei der btconf in München (15.–17. Januar 2018)

Ein persönlicher Bericht des AGD-Regionalsprechers Johannes Steil, der diesmal das Partner-Gratisticket gewonnen hatte.

Das fängt ja gut an: Auf den Stehtischen im Foyer liegen stapelweise druckfrische Leporellos
der AGD für das Angebot »Kollegen beraten Kollegen«. Die Stehtische stehen im
Künstlerhaus in München, einem scheußlich klobigen Fake-Barockbau, der die Beyond
Tellerrand bei ihrem ersten Auftritt in München beherbergt.

Die Workshops

Aber los ging es eigentlich schon am Tag vorher mit Workshops, von denen ich wegen der
langen Anfahrt von Hamburg nur noch den letzten Zipfel erhaschen konnte. Für mich besteht
der aus den Unterlagen zum Thema »CSS Grids«. Die sind im Kommen und werden das
Webdesign in vieler Hinsicht einfacher machen – und hoffentlich auch abwechslungsreicher.
Beyond Tellerrand – mal schauen, für was ich da das Ticket gewonnen habe, über welche
Ränder geschaut wird, hinter welche Horizonte gegangen wird. Das Programm ist gut
organisiert, mit ordentlichen Pausen und thematisch gruppiert.

Parforceritt durch Webdesign und Coding

Was dann folgt an zwei Tagen, ist ein Parforceritt durch Webdesign und Coding. In einem
Tempo, dass den Referenten selbst nicht nur einmal schon nach wenigen Sätzen die Luft
wegbleibt. Die Slides dazu blitzen oft nur auf, dass man kaum mehr sieht, als dass da zwanzig
bis dreißig Zeilen Code gezeigt werden. Oder das Storytelling ufert so aus, dass man gar nicht
mehr so recht weiß, was das Thema dieses Vortrags ist. Was bei den einen zu wenig
Interdisziplinarität ist, ist bei den anderen zu viel. Dann geht es um Roboter im Alltag — ein
weitgefasster Alltag, zählt da doch auch die Pflege im Krankenhaus dazu. Ein hervorragendes
Thema für fächerübergreifendes Denken und Handeln! Das sich dann aber in der Frage nach
der Bekleidung des Pflegeroboters erschöpft. Sie soll so sein, dass die Patienten mit ihm
reden. Die grundlegende Frage wird nicht gestellt, nämlich die nach einem menschlichen
Gesundheitswesen. Was interessiert denn die »Bekleidung« einer Maschine, wenn man sich
keine Krankenversicherung leisten kann? Was hilft das gegen die in den USA um 76 Prozent
höhere Säuglingssterblichkeit im Vergleich zu 16 anderen Industriestaaten? Bei solchen
Themen kommt bei mir immer wieder der Politikwissenschaftler zum Vorschein, der ich im
vorigen Leben war.

Accessible Design: Ein Thema mit Zukunft

Die Highlights für mich waren zwei Vorträge über Accessible Design. Webdesign, das
Zugang für so viele Menschen wie möglich bietet, für alle Arten von disabled persons. Seien
sie blind wie der Referent Robin Christopherson oder haben nur eine Hand. Wie die meisten
der Zuhörer, weil die andere den Kaffeebecher hält.
Und dann eine Stunde praktische Umsetzung von accessible design am Beispiel. Da lernte
ich, wie wichtig es ist, jedes Element einer Site keyboardzugänglich zu machen, es ordentlich
zu benennen — mit dem richtigen Tag, mit der richtigen ARIA-role, und nicht einfach divs
mit Klassen für die Strukturierung zu nehmen.
Daran knüpft auch der Vortrag über Datenmengen-Reduzierung an: wer kein so gutes Netz
hat wie wir in Deutschland (von den Großstädten der USA, von Rumänien oder den
baltischen Staaten ganz zu schweigen), der ist auf geringe Datenmengen angewiesen. Unter
den Tisch fiel mir da nur, wie der Rechenbedarf fürs Dekomprimieren aussieht. Schlechtes
Netz und schlechte Stromversorgung gehen sicherlich oft Hand in Hand.

Und weitere Impressionen

Gewissermaßen außer Konkurrenz und schon übern Tischrand war jeweils das Ende der Tage:
Am ersten Tag sprach Aoi Yamaguchi vom Verhältnis japanischer Kalligraphie und
Selbstreflexion mit einer Unzahl ihrer Arbeiten. Immer wieder faszinierend, die japanische
Handwerks- und Kusttradition, die gleichzeitig strenge Regeln hat und persönlichsten
Ausdruck fordert.
Am anderen Tag zeigte dina Amin (mit kleinem d!) einige ihrer Trickfilme über Reverse
Engineering von Elektroschrott und erzählte voller Witz über ihren Weg von Ägypten über
ein Industriedesignstudium in Malaysia zurück nach Ägypten und ihre Ratlosigkeit, was tun
nach einer Kündigung: Was mir Spaß macht! Was macht mir Spaß? Nichts mehr. Aber da war
diese Kiste mit Krams, den sie mal reparieren wollte. Aus dem Reparieren wurde ein
Umbauen.
Ganz zum Ende eine gewisse Ratlosigkeit bei mir über Stefan Sagmeister. Er sprach über die
Wichtigkeit von Schönheit. Auch wenn mir seine Bestimmung derselben nicht klar wurde,
bleibt doch einiges im Gedächtnis: Dass Schönheit menschlich ist und schon immer zum
Menschen gehört. Und dass sie, wie er Max Bill zitierte, Teil der Funktionalität ist, nicht ihr
entgegengesetzt. Dass er dann die Luxury Condominiums entlang des High Line Parks in
seiner Heimat New York City als Beispiel für schöne neue Architektur pries, bleibt mir ob
ihrer gesellschaftlich negativen Folgen von Vertreibung und Stadtzerstörung rätselhaft.
Zurück bleibt ein gemischtes Gefühl. Referenten, die sich nicht zuletzt dadurch auszeichnen,
schon auf anderen Ausgaben dieser Veranstaltung gesprochen zu haben — geht es nicht um
neue Blicke? Ein Publikum, das ausgesprochen unkommunikativ ist, in den Pausen den Kopf
gesenkt hält auf die Screens ihrer Devices — das kenne ich nicht nur von der AGD anders.
Vielleicht liegt’s auch am Alter, ich habe den Durchschnitt deutlich gehoben, auch wenn ich
nicht der Einzige über 40 war. Ich war übrigens auch nicht der Einzige ohne Bart. Und gelernt
habe ich auch einiges.
Wir danken Johannes Steil für seinen persönlichen Bericht und wünschen der btconf weitere
erfolgreiche, inspirierende Veranstaltungen.

Impressionen der Btconf: https://t.co/9mcSphFxUl  (Fotograf: Stefan Nitzsche)

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