Talk am Kamin: »Kreativ ohne Netz und doppelten Boden?«

Gemeinschaftsveranstaltung des KREATIVZENTRUM.SAAR und der AGD-REGIONALGRUPPE SAARLorLux am Mittwoch, 25. Oktober 2017, 19 Uhr

Kreativ ohne Netz und doppelten Boden? Das muss nicht sein. Bei Talk am Kamin plauschen dieses Mal Kreative wie Experten in gemütlicher Atmosphäre eines flimmernden Feuers über die Balance zwischen schöpferischer Arbeit und Absicherung.
Es diskutieren:
Michael Zimmer (Sprecher der AGD-Regionalgruppe SaarLorLux)
Victoria Ringleb (Geschäftsführerin der AGD)
Tamay Zieske (kreativzentrum.saar)
Zymryte Hoxhaj (Bureau Stabile)
Frank Post (FreeJazz-Musiker und Unternehmer bei Loopers Paradise)
Anette Weiß (Finanzcoach Geld.Wert GmbH).

Kreative sehen in ihrer Arbeit meist alles andere als irgendeine Maloche: All ihre Leidenschaft stecken sie in ihre schöpferischen Produkte mit ideellem Mehrwert. Es geht nicht um irgendeine seelenlose Ware, es geht um Identifikation. Arbeit wird zum sinn- und identitätsstiftenden Ausdruck persönlicher Individualität. Man arbeitet jenseits betrieblicher Strukturen und fester Arbeitszeiten oder -orte, ist mobil, vernetzt und verzichtet für mehr Freiheit gerne auf bewährte Sicherheiten. Schließlich verwirklicht man sich selbst?! ?Aber Wirtschaft und Kultur begegnen sich so auch ganz neu: Kreatives Chaos, Originalität und ungebremster Schaffensdrang stehen der Geschäftswelt längst nicht mehr im Weg. Im Gegenteil, dadurch wird Produktivität erst garantiert. Eine gesicherte Zukunft sollte dem daher nicht entgegenstehen.

Auch Politik und Wirtschaft haben den Trend längst registriert: Sie werden nicht müde, die Kreativbranche als »Innovationstreiber« oder »Zukunftsbranche des 21. Jahrhunderts« zu hofieren. Das kommt nicht von ungefähr: Die volkswirtschaftliche Wertschöpfung der Kreativwirtschaft beträgt aktuell 67,5 Milliarden Euro / Jahr und kommt damit knapp hinter der Maschinenbau- und der Automobilindustrie. Wenn die Zukunft der Branche gesichert ist, warum also nicht auch die der Kreativen?

Wenn alles so toll ist, wieso leben dann so viele Kreative am Rande des Existenzminimums?

Von den Schattenseiten der beschworenen Freiheit in Kreativberufen wird in den Reden zur Wirtschaftsförderung dagegen kaum gesprochen: Der Durchschnittsverdienst eines männlichen in der Künstlersozialkasse Versicherten liegt bei knapp unter 1.350 € im Monat, bei weiblichen Kreativen sind es sogar unter 1.100 €. Zu Ende gedacht bedeutet das, dass jedem Kreativen, der über diesem Schnitt liegt, andere entgegenstehen, die sogar unter diesem Satz liegen. Die Euphorie, mit der die neue Freiheit des Arbeitens in der Kunst- und Kreativwirtschaft oft begrüßt wird, vergisst offenbar ganz, die Voraussetzung einzufordern, die selbstbestimmte Arbeit erst ermöglicht: ein Mindestmaß an Sicherheit vor sozialen Risiken.

Sieht man sich dagegen selbst als kreativer Unternehmer und ist von der Gestaltbarkeit des eigenen Lebens überzeugt, werden die Grenzen der Selbstentfaltung schnell ausgeblendet. Eine zeitlang kann das durchaus gut gehen, zumal gerade junge Kreative dazu neigen, Zukunftsfragen außen vor zu lassen. Erst wenn der kreative Geist ins Stocken gerät, ahnt man, dass die Freiheit, die man wollte, auch ihre Tücken hat.

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