Kreative Identität und Selbsterkenntnis von Roberta Bergmann

»Kreative Identität und Selbsterkenntnis« ist ein Buch für Menschen, die ihre Kreativität entdecken oder vielleicht auch wiederbeleben wollen. Denn, so Bergmann: Nur, wer seine kreative Identität kennt, kann Selbstbewusstsein entwickeln, kann herausfinden, was er wirklich will – und was nicht.

»How do I get to Carnegie Hall?
Practice, man, practice.«  

Sparks

Das neue Buch von Roberta Bergmann ist äußerlich ein Feuerwerk und im Inneren ein ziemlich dickes Brett. Zumindest, wenn man es ernst nimmt.

Den Titel dominiert eine Explosion, rot auf violett, man sieht die Kreativität sprühen. Die Headlines im Inneren folgen den Regeln der konkreten Poesie, der Fragenteil in der Mitte ist farbig abgesetzt. Einziger Wermutstropfen bei diesem schönen Werk aus dem Verlag Hermann Schmidt: Es bleibt nur aufgeschlagen liegen, wenn die Rezensentin ihren Briefbeschwerer nutzt. Aber der brauchte sowieso mal wieder eine Aufgabe.

Geboren wurde die Idee zu dem Buch aus der Erfahrung von Unsicherheiten, Ängsten und Zweifeln, die Roberta Bergmann während des Designstudiums an sich selbst erlebt hat – und der Erkenntnis, dass es vielen Kreativen ähnlich geht. Diese Kreativen spricht die Autorin direkt an, wie schon Leander Greitemann, über dessen »Unfollow Your Dreams« wir kürzlich eine Rezension veröffentlich haben. Bergmann allerdings entscheidet sich für das »Sie«.

Was ist kreative Identität? Und wie findet man sie?

Bergmann beschreibt die kreative Identität als Teil jeder einmaligen, persönlichen Identität: »Die kreative Identität definiere ich als kreative Stimme, die jede*r von uns in sich trägt. Diejenigen, die ihre Stimme öffentlich erklingen lassen, machen damit ihre Ideen, Gefühle und Gedanken für andere sichtbar und sie drücken sich so künstlerisch, kreativ, musisch und ästhetisch aus. Sie beschreiben und spiegeln dabei die Welt und wollen sozial teilnehmen und die Gesellschaft vielleicht sogar durch ihr kreatives Schaffen verändern.«

»Kreative Identität und Selbsterkenntnis« ist ein Buch für Menschen, die ihre Kreativität entdecken oder vielleicht auch wiederbeleben wollen. Denn, so Bergmann: Nur, wer seine kreative Identität kennt, kann Selbstbewusstsein entwickeln, kann herausfinden, was er wirklich will – und was nicht –, kann definieren, wofür er steht, kann die eigenen Potenziale erkennen – und sich so im Markt positionieren. Sie führt ihre Leser Schritt für Schritt durch diesen Prozess.

Wie macht sie das? Sie benennt Ressourcen kreativer Persönlichkeiten: Wie steht es um die Bereitschaft zur Selbstreflexion, das Selbstvertrauen, um Mut, Motivation, Neugier? Wie günstig ist das Umfeld für die kreative Identität? Passen Fremd- und Selbstbild zusammen? Bergmanns Beschreibung kreativer Persönlichkeiten: komplex, offen, bereit zu divergentem Denken und mit einer starken inneren Motivation. Sie zeigt Möglichkeiten und Wege zur Kreativität, die alle in unterschiedlichen Anteilen und Situationen ihre Berechtigung haben: Intuition, Rationalität, Disziplin und Übung, Imagination.

Ganz früh in dem Buch wird deutlich: Das ist nicht zum Konsumieren, das ist zum Arbeiten! Der Text wird begleitet von kleinen Aufgaben und Denkanstößen, den »Impulsen«. Ein Beispiel. Zur Inspiration empfiehlt Roberta Bergmann »Leerlaufmomente«:

IMPULS: Leerlaufmomente finden und provozieren

Wann und warum hatten Sie persönliche Leerlaufmomente?
Erinnern Sie sich an inspirierende Momente und Orte? Was war zum Beispiel der verrückteste Ort, an dem Sie einen richtig guten Einfall hatten oder Ihnen plötzlich die Lösung für ein Problem klar wurde? Warum gebe ich Ihnen diesen Impuls? Solche Aha-Momente können Sie bewusst wieder provozieren, wenn Sie dringend auf der Suche nach einer Lösung sind!«

Was noch bei der Suche nach Lösungen hilft, ist Erfahrung. Auch die Erfahrung anderer – Netzwerken ist gut für die Kreativität. Fehler zu machen, ist ebenfalls gut, denn die passieren, wenn man Erfahrungen sammelt. Bergmann spricht von einer »Fehlerkultur«; man soll Fehler nicht vermeiden, sondern nutzen.

Ein echtes Stück Arbeit bedeuten die 20 Seiten auf rosa Papier im Mittelteil des Buchs: »Fragen, die Ihre kreative Identität definieren« Erforscht werden das »Selbstbild, Fremdbild und die Paradoxien der kreativen Identität«. Es beginnt mit Fragen nach der Innenwelt – »01 Wer waren Sie als Kind?« –, geht weiter mit solchen nach dem Umfeld – »34 Von wem holen Sie sich in welchen Situationen Ratschläge und warum« – und kommt dann zu »Fragen nach Ihren Werten & Prinzipien«. Anschließend geht es um Kreativität: um den kreativen Beruf, die Superpower, die Werkzeuge und das kreative Vermächtnis. Wer diese Fragen ernsthaft durcharbeitet, ist lange beschäftigt und hat am Ende viel über sich gelernt.

Jetzt kommen wir zum: Machen

»Learning by doing«, ausprobieren und machen und so den eigenen Stil finden. Das ist es, zu dem Bergmann rät. Fehler zu machen, gehört dazu, das Wiederholen von dem, was gut funktioniert, etabliert Routinen.

Sie erläutert, was es für sich hat, zu improvisieren, aber auch sich zu vertiefen. Sie nennt uns Beispiele, wo sich Mut gelohnt hat, wandelt mit uns auf dem Pfad zwischen Abwechslung und Routine und gibt uns – mal wieder – praktische Hilfe in Form einer To-Do-Liste. Sie zeigt uns, wie wir »Verhinderer und Stressoren« identifizieren und ausmerzen.

Ein eigenes Kapitel widmet Roberta Bergmann dem »Nein«, das sie erst einmal als »Das Gegenteil von ›Ja‹ bezeichnet, und sie bekennt: »›Nein‹ zu jemandem zu sagen, ist etwas, das mich jedes Mal wieder Überwindung kostet.« Da sie aber nicht jedes Mal Ja sagen kann, steckt sie in einem Dilemma – wie nicht wenige von uns. Einerseits können oder wollen wir etwas nicht mehr machen, aus Zeitgründen zum Beispiel, andererseits geht es uns nicht gut damit, jemanden zu enttäuschen. Sie ruft sich dann selber zu Klarheit und Stärke auf – und empfiehlt uns, unsere Motivation zum Ja-Sagen zu überprüfen.

Erfolg und Anerkennung? Können kommen, müssen aber nicht. Roberta Bergmann rät dazu, dem eigenen Antrieb zu folgen, um eine »Grundzufriedenheit« sicher zu stellen. Und schreibt weiter »Die meisten erfolgreichen Kreativen sind erfolgreich geworden, weil sie vor allem ihr Ding gemacht haben – ohne auf Erfolg zu hoffen.« Wovon Kreative bei mangelndem Erfolg leben sollen, verrät sie sind. Aber das ist auch nicht wirklich Gegenstand dieses Buchs. Sehr wichtig und richtig der Hinweis, nicht Trends hinterher zu jagen, sondern dem eigenen Stil treu zu bleiben und so möglicherweise selbst Trendsetter zu werden. »Zu diesem Thema habe ich mich persönlich mit dem Designer Erik Kessels unterhalten. Er beobachtet mit Stirnrunzeln den fehlenden Mut von Menschen aus der Kreativbranche, sich eigenen Ideen zu widmen. Stattdessen sieht er, wie Ideen und Gestaltungen entweder abgekupfert werden oder etwas lieber ›schön‹ (und im Trend) gestaltet wird, mit enttäuschenden, da blutleeren und inhaltslosen Ergebnissen« Ich denke, wir runzeln mit und haben alle ein paar Beispiele vor Augen.

Kreative Identität – die Langstrecke

Für Roberta Bergmann ist es immens wichtig, einer sinnstiftenden Arbeit nachzugehen, es ist etwas »das Sie intensiv erleben und das Sie mit Freude und Stolz erfüllt.« Und in dem Absatz darüber: »Wenn Sie es schaffen, für Ihre Arbeitszeit einen für Sie stimmigen Gegenwert in Form von Geld zu verlangen und dieses auch zu erhalten, dann kann ich Ihnen von Herzen gratulieren!« Sie stellt die Teilbranchen der Kultur- und Kreativbranche vor und zeigt am Beispiel eines Illustrators, wo und wie sich Arbeitsmöglichkeiten ergeben. Der »Impuls« klärt die Frage »Welche Märkte passen zu Ihnen?«

Wieviel Geld brauch man? Will man angestellt arbeiten oder frei? Wie gut passt das soziale Umfeld zu einem Leben als Kreativer, und welche Kompromisse muss man eingehen? Das Kapitel endet mit Hinweisen darauf, wie man den Selbstwert ermitteln kann und schließlich der Frage nach dem kreativen Vermächtnis: Was soll von meiner Arbeit bleiben?

Für wen ist nun »Kreative Identität und Selbsterkenntnis geschrieben? Mein Eindruck: Es wendet sich vor allem an Menschen, die davor oder dabei sind, ihre Kreativität und ihre kreative Identität zu finden. Oder auch an solche, die im Hinblick darauf noch einmal reflektieren wollen. Ich habe die Autorin gefragt. Ihre Antwort:

»Auch wenn man schon lange kreativ arbeitet und sogar davon lebt, würde ich sagen: Bleibt neugierig und hinterfragt Euren kreativen Prozess regelmäßig. Die eigene kreative Stimme ist etwas Lebendiges, das sich immer weiterentwickeln darf. Es ist wichtig, nicht stehen zu bleiben, sondern sich neue Impulse zu holen, sich weiterzubilden und den eigenen Stil zu reflektieren. Mein Buch richtet sich auch an diejenigen, die schon lange im kreativen Bereich tätig sind – denn Selbsterkenntnis und das Hinterfragen der eigenen kreativen Identität können helfen, Kreativblockaden zu lösen und neue berufliche Perspektiven zu gewinnen.«

In diesem Sinne: viel Erfolg bei der Arbeit mit diesem Buch von Roberta Bergmann.

Christina Sahr

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