»Unfollow Your Dreams« von Leander Greitemann – Rezension von Christina Sahr

Einen großen ersten Teil des Buches räumt Leander Greitemann, der seine Leser direkt duzt, mit fast allem auf, was fast allen von uns als unumstößliche Wahrheit gilt und unser wirtschaftliches und sonstiges Handeln bestimmt. »Erfolg macht nicht glücklich«, schreibt er.

Eine Anleitung zum Leben ab sofort

Einst träumte Dschuang Dschou, dass er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wusste von Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich und wahrhaftig Dschuang Dschou. Nun weiß ich nicht, ob Dschuang Dschou geträumt hat, dass er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dschou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist. So ist es mit der Wandlung der Dinge.

Dschuang Dsi (Zhuangzi) (um 365 – 290 v. Chr.), auch Chuang-tzu, Tschuang-tse oder Zhu?ng Zh?u, taoistischer Philosoph, Gegner des Konfuzianismus

Träumten wir alle wie Dschuang Dschou – oder wie der Schmetterling – hätte es dieses Buch nie gegeben. Und das wäre in mehrerer Hinsicht ein Verlust.

Zum ersten rein optisch. Das vom Verlag Hermann Schmidt gewohnt liebevoll, sinnig und sinnlich gestaltete Buch enthält keinen einzigen schwarzen Buchstaben. Dafür Königsblau, leuchtendes Rot und warmes Rosa bei Druck und Papier. Geschwungene Pfeile und Typografie kommentieren den Inhalt: Da dürfen von dem Gluck schon mal die Punkte purzeln, wenn es denn mit eben dem doch nicht so weit her ist.

Und ein Verlust zum zweiten, weil Leander Greitemann sehr, sehr gut darin ist, die Orientierung an Zielen und Erfolgen, die uns so selbstverständlich scheint, komplett umzukrempeln. »[Er inspiriert] als Live-Philosoph in Seminaren und interaktiven Impulsvorträgen Menschen und ermutigt sie, aus ihrer üblichen Weltsicht auszubrechen, um leichter, liebevoller und kreativer durchs Leben zu gehen«, heißt es beim Verlag Hermann Schmidt. Und der Autor selbst schreibt auf seiner Website »›Wie gelingt ein Leben in Leichtigkeit?‹ Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass beinahe alle Probleme kopfgemacht sind und wir genau dort anfangen sollten uns und unsere Welt zu retten!« Na, dann mal los!

Das kann doch nicht sein!

Einen großen ersten Teil des Buches räumt Leander Greitemann, der seine Leser direkt duzt, mit fast allem auf, was fast allen von uns als unumstößliche Wahrheit gilt und unser wirtschaftliches und sonstiges Handeln bestimmt. »Erfolg macht nicht glücklich«, schreibt er. Und: »Auf persönlicher Ebene führt unser aktueller Lebensstil dazu, dass wir oft unzufrieden mit uns selbst sind, unserem Job und anderen. Die Folgen sind Dauerstress, Sorgen (Selbst-) Verurteilung, schlechte Laune, Streitereien und manchmal eine laut gähnende Leere in uns. Viele der heutigen großen Herausforderungen auf planetarer Ebene (Klimawandel, Artensterben, ungleiche Verteilung von Macht und Reichtum, Diskriminierung, Zerstörung der Natur, Massentierhaltung und Kriege), sind auch das Ergebnis gewisser Glaubenssätze.« Das klingt nach einem großen Rundumschlag, und es wird auch einer, wenn im Ton auch meist leichter als in diesem Zitat. Verblüffend ist, dass uns nicht nur die aufgestellten Regeln wie »Erfolg macht glücklich« vertraut erscheinen, die Beweise des Gegenteils tun es ebenso. Warum haben wir selbst nicht schon mehr darüber nachgedacht? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?

Vom Zwang, glücklich zu sein

Greitemann sagt: Die Regel »Erfolg macht glücklich.« bestimmt unser Leben von der Schule bis zum Instagram-Account – und unser Berufsleben erst recht. (Die Rezensentin muss spontan an linke Aussteiger denken.) Und er beschreibt, wie den Comedian und Moderator Felix Lobrecht Erfolg und Anerkennung unruhig und unglücklich machten. Kein Einzelfall. (Die Rezensentin muss spontan an diverse Rock- und Pop-Musiker denken.)

Wir wollen Erfolg. Wir wollen so sein, wie der oder die, die ihn zu haben scheinen – ohne zu wissen, wie die Situation des anderen wirklich ist. Wir praktizieren harte Arbeit und Verzicht, damit später endlich der Erfolg, das Geld, die Führungsposition kommt. Sind wir dann glücklich? Geld und Reichtum haben Nebenwirkungen, und sie sind nicht unbedingt von Dauer. Wovon zum Beispiel Sportler und Pop-Größen ein Lied singen können. Und auch Milliardäre, die sich verspekuliert haben.

Nach rund 30 Seiten lässt Greitemann erstmals diesen Aspekt durchblitzen, den er der Bhagavad Gita von Krishna entnommen hat: »Lege den Fokus nicht auf die Früchte deiner Handlung, sondern auf die Handlung selbst.« Und schreibt dann: »Wenn wir die Dinge nur tun, um in der Zukunft etwas zu erreichen, fällt der Sinn der Handlung weg, wenn wir das Ziel verfehlen. Die Handlung wird damit rückblickend sinn- und wertlos.« Und paradoxerweise sei Erfolg wahrscheinlicher, wenn man sich auf die Handlung fokussiert. Weil wir mit Begeisterung und Energie bei dem sind, was wir tun.

Glücklich sein trotz Erfolg kann man, so der Autor, dennoch. Aber nur, wenn man dem Erfolg keinen allzu großen Stellenwert beimisst, ihm nicht alles opfert, was einem wichtig ist. Erfolg gehört zum Leben – kein Problem. Die Fokussierung darauf, das ist der Irrsinn.

Greitemann empfiehlt eine neue Sicht auf den Erfolg. Drei Aspekte:

  • »Du legst deinen Fokus nicht auf die Früchte Deiner Handlung, sondern auf die Handlung selbst. Denn Machen ohne wollen ist am krassesten.«
  • »Es gibt keine vergeudete Zeit mehr, keine sinnlosen Aktivitäten, weil alles Zweck an sich ist und nicht erst noch auf irgendein Ergebnis im Außen hinarbeiten muss.«
  • »Wenn Erfolg im Außen irrelevant wird, bist du sofort erfolgreich im Inneren. Dafür musst du nicht an dir oder an irgendetwas arbeiten, nichts erreichen. Gib dich dem Moment hin. Das war’s.«

Ein Hoch dem Zufall, da er Chancen eröffnet

Können wir es anstatt mit Erfolgen mit Zielen probieren? Auch in ihnen sieht Greitemann nicht viel Gutes. Und zitiert Max Weber, der durch Gedanken wie »Alles ist Mittel zum Zweck« den Kapitalismus befeuert sah. Muss es wirklich immer von allem noch mehr sein?

Wenn wir auf das Ziel fixiert sind, verpassen wir die Schönheit des Augenblicks. Und gute Gelegenheiten. Und wir nehmen zahlreiche Nebenwirkungen in Kauf.

  • Burnout durch überambitioniertes Arbeiten.
  • Wir kaufen zu viel, immer das Neuste. Man muss sich ja auch mal etwas gönnen.
  • Wenn das Ziel genau feststeht, kann jeder Schritt ein falscher sein. Das führt zu ungesunder Vorsicht, Sorgen und Angst.
  • Wenn wir nur an das Ziel denken, finden wir immer jemanden, der auf dem Weg dahin schon weiter ist – und verderben uns so die Freude, nach der wir doch streben.

Greitemann durchzieht dieses Kapitel mit Anekdoten über Lottogewinner, siamesische Zwillinge und bei Unfällen schwer Verletzten, deren Schicksal – und deren Glücksgefühle – sich dann ins Gegenteil von dem wenden, was man vermuten würde. Außer, man liest dieses Buch, dann hat sich die Erwartungshaltung schon geändert. Das alles ist anschaulich und unterhaltsam.

Anstatt Zielen empfiehlt der Autor Ideen. »Das Ziel saugt die Aufmerksamkeit in die Zukunft. Die Idee schaut vom Ausgangspunkt auf die Situation. Weniger verhaftet, ergebnisoffen und neugierig.« Weniger Last, mehr Spielraum und Gelegenheiten, das Staunen wieder zu kultivieren.

Auf den folgenden Seiten entlarvt Leander Greitemann weitere Mythen wie den amerikanischen Traum »Du kannst alles schaffen«, der seit Jahrzehnten Weltanschauung, Heldengeschichten und den Kapitalismus prägt. Und der inzwischen esoterisch-mystisch mit Ansichten wie »Du kannst alles, was du willst, beim Universum bestellen« als Bestseller »The Secret« (Rhonda Byrne) in den Buchhandlungen oder als »Lucky Girl Syndrome« bei TikTok durch die Decke geht. Die Wahrheit ist, dass eben nicht jeder alles schaffen kann. Weil zum Beispiel die Sozialisation, die äußeren Umstände, die Konkurrenz oder Pech in der letzten Sekunde das verhindern. Notorische Unzufriedenheit und Selbstverurteilung sind die Folgen, wenn man dennoch daran festhält, alles schaffen zu wollen.

Auch hier hilft eine neue Sicht:

  • »Dir wird der Einfluss des Zufalls auf dein Leben bewusster. Dadurch wird dir schneller die Absurdität klar, wenn du dich für Dinge verurteilst, die du nicht vollständig kontrollieren kannst.«
  • »Du entspannst dich und es fällt die (noch) leichter, dich auf die Handlung selbst und nicht auf die Früchte deiner Handlung zu konzentrieren. Denn dir ist klar, dass du es sowieso nicht in deiner Hand hast.«
  • »Du löst sich von der Idee, dass du etwas ganz Bestimmtes erreichen kannst, willst und musst. Du bist offen für die Vielfältigkeit der Erfahrungen, die du nie hättest planen können.«

Essen wir das Eis, ehe es schmilzt

Zum Ende des Buches vergleicht der Autor das Konzept WARUM mit dem Konzept WIE. Wenig überraschend, dass WARUM verliert; es ist zu viel Ziel enthalten. Zum WIE hingegen lesen wir: »Fange mit dem WIE an. Der Fokus in deinem Leben könnte sein, wie du Dinge tust. Wie du andere Menschen behandelst. Wie du im Kontakt mit dir und deiner Umwelt bist. Es bedeutet ein Leben, in dem wir uns zuallererst auf die Handlung selbst konzentrieren und nicht so sehr auf die Früchte dieser. Der Pulitzerpreis-gekrönte Schriftsteller Thornton Wilder hat es entwaffnend simpel auf den Punkt gebracht: ›Ich würde Ihnen raten, nicht nach dem Warum oder Woher zu fragen, sondern Ihr Eis zu essen, ehe es schmilzt.‹«

Und darum geht es im Wesentlichen: Sinn zu finden, indem man im Hier und Jetzt lebt. Das Eis zu essen, ehe es schmilzt und dabei nicht an die Steuererklärung zu denken. Beim Filmschauen nicht an den Streit von gestern und im Urlaub nicht an die Arbeit. Bei sich zu sein und bei dem, was man tut. Ein Leben, das wir ohne Sinne leben, fühlt sich: sinnlos an.

»Beim Fokus auf das Wie kannst du sofort Sinn erfahren.« Es gilt, den Sinn immer wieder im Jetzt zu finden. Und dieser Sinn kann jeden Augenblick wechseln. Wer sich darauf einlässt, kann sich auch einfach freuen, wann er möchte, denn zu früh ist es nie, weil sich sowieso immer alles ändert und nichts final ist. Und man ist immer schon da, wo man sein will. “Wenn du nirgendwo hingehen musst, wenn du deinen Träumen entfolgst, dann kannst du im Jetzt und Hier ankommen.”

Die Regeln, die unser Leben und Handeln bestimmen, stellt Leander Greitemann systematisch in Frage und auf den Kopf. Erfolg, Ziele, American Dream – alles nicht nur überbewertet, sondern das Gegenteil von dem, was uns glücklich macht und der Welt gut tut. Etwas zu viel Wiederholung vielleicht, wenn Greitemann auf verschiedene Stichpunkte und Fragen die immer gleichen Antworten liefert. Vielleicht aber auch genau das richtige Maß für Zielfixierte und Erfolgssüchtige, die von der Droge wegkommen wollen. Der radikal andere Blick auf uns und unsere Gesellschaft ist beglückend, entspannt und entspannend. Man würde ihn vielen Menschen würden. Es würde unsere Welt zu einer besseren machen.

Christina Sahr

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