Geschichtsunterricht mal anders?
Wir wissen nicht, wie schwer oder leicht es ist, Geschichtsunterricht anschaulich, sogar spannend zu machen. Dass eine Graphic Novel wie »Columbusstraße« von Tobias Dahmen dafür mehr als geeignet sein kann, leuchtete uns hingegen ein. Außerdem waren wir neugierig, wie eine Graphic Novel in einer Lesung funktionieren kann. Daher waren wir sofort bereit, die von Tobias Dahmen finanziell zu unterstützen, zusammen mit dem Till-Eulenspiegel-Museum in Schöppenstedt.

Aus der Zeit des Nationalsozialismus ist nur zu berichten, daß sie mir große Aufregungen und Schäden verursacht hat. (Dr. Karl Dahmen, 1970)
Vergangenheit wird lebendig
Um es vorweg zu nehmen: Die Lesung aus einer Graphic Novel geht voll auf. Zumindest im Fall der »Columbusstraße«. Die Bilder werden nacheinander an die Wand projiziert, der Autor liest vor, was dort geschrieben steht, »Öchh!« und »Pok Pok Pok« genauso wie redaktionelle Hinweise und »echte« Rede. Das geht gut, weil das, was acht Jahre recherchiert wurde, in vier Jahren Illustrationsarbeit nicht einfach chronologisch nacherzählt, sondern in Geschichten gepackt wird. Dabei gibt Tobias Dahmen dem Leseerlebnis im Zweifel den Vorrang vor der historischen Genauigkeit. So werden Briefe zu Gesprächen bei einem Spaziergang, Archivmaterial zu Dialogen in Schützengräben. Denn es geht ihm darum, Momente zu schaffen, die den/die Leser:in einbeziehen, auch wenn die Szene so nicht überliefert ist. Zudem lässt uns der Autor zu keinem Zeitpunkt vergessen, dass er uns hier seine Familiengeschichte erzählt, denn wir wandern mit ihm durch die unterschiedlichen Zeiten, mal schauen wir ihm im Hier und Jetzt über die Schultern, werden Zeugen seiner Gespräche mit seinem Vater und seiner Tochter, mal sind wir an der Ostfront, ein anderes Mal beim Großvater in der Schraubenfabrik (klingt harmlos?) in Breslau. Das macht die Familien, den Autor und die Geschichten so nahbar.
Mehr als eine Lesung
Selbstverständlich gewährt Tobias Dahmen Einblicke in seine Arbeit. Die acht Jahre Recherche und vier Jahre Graphic Novel beschreibt er so: »Es war ein bisschen so, wie wenn man aufs offene Meer rausschwimmt, man sieht noch nicht das Zielufer und nicht mehr das Ufer, von dem man aufgebrochen ist.« Und doch fordert er uns immer wieder auf, unsere eigene Familiengeschichte in den Blick zu nehmen. Zu prüfen und zu hinterfragen, wie viel nicht erzählt wurde, das dringend erzählt werden muss. Damit das Bild ein ganzes ist, aufhört, entweder schwarz oder weiß zu sein. Überhaupt die Grautöne. Sie sind in der Graphic Novel allgegenwärtig und dies bewusst. Denn es sind die Grautöne, die eine (Familien-)Geschichte erzählen.


Es ist immer schön, einen Nicht-Historiker über Geschichte reden zu hören. (Dr. Michael Ploenus, Lehrstuhl für Geschichte und Geschichtsdidaktik)
Damit stellt Tobias Dahmen einen direkten Bezug zu seinen Gastgeber:innen her, denn kein Geringerer als der renommierte Historiker Thomas Nipperdey formulierte es so: »Die Grundfarbe der Geschichte ist grau, in unendlichen Schattierungen.« Und niemand zeigt es so eindrücklich, ehrlich und bewegend auf wie Tobias Dahmen.
Nachtrag: Im letzten Jahr haben wir bereits eine Rezension des Buches hier auf unserer Website veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine unterhaltsame Doppelrezension von Christina Sahr (Text) und Stephan Roth (Illustration).
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