Das Statusfeststellungsverfahren (SFV) gilt unter Selbstständigen als undurchsichtig, schwer vorhersehbar und, insbesondere wenn sie selbstständig sein wollen, existenzbedrohend. Noch bevor es offiziell durchgeführt wird, erzeugt es enorme Unsicherheit: Auftraggeber:innen vergeben Aufträge zunehmend in Form von Arbeitnehmerüberlassung, wodurch die Flexibilität und Autonomie von Selbstständigen eingeschränkt werden. Die zusätzliche rechtliche Unklarheit führt zu Mehraufwand für Selbstständige bei der Akquise und fürchtet letztlich, die Existenz der Selbstständigen bedrohen zu können.
Dem bieten die in der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände zusammengeschlossenen Interessensvertreter:innen seit 2017 geschlossen die Stirn und haben – auch als Fazit ihrer langjährigen Arbeit – in diesem Herbst ein umfassendes Forderung- und Positionspapier auf den Weg gebracht.
Ziele der SFV-Reform
Es basiert auf einer Expertenbefragung und einer umfassenden Diskussion zur Verbesserung des SFV und beinhaltet die zentralen Forderungen für eine zielgerichtete SFV-Reform. Diese Reformansätze lassen sich in fünf zentrale Punkte unterteilen:
1. Einführung von Positivkriterien zur Definition der Selbstständigkeit
Im deutschen Recht gibt es bislang keine explizite Definition von Selbstständigkeit – sie ergibt sich oft nur aus dem Nicht-Angestellt-Sein. Um den Status besser abzugrenzen, schlagen die Verbände klare Positivkriterien vor, die eindeutige Merkmale für Selbstständigkeit darstellen sollen, anstatt sich primär auf eine Vielzahl von Negativkriterien zu stützen.
Der Katalog enthält Kriterien wie: angemessene Bezahlung (höheres Stundenhonorar als Mindestlohn oder Vergleichslöhne), Altersvorsorge, Kapitalgesellschaft, mehrere Auftraggeber, Nachweis von Spezialwissen oder Absicherung gegen berufsbedingte Risiken. Dabei soll das Erfüllen eines dieser Positivkriterien für die Feststellung der Selbstständigkeit sprechen – fehlende Kriterien sollen hingegen nicht negativ ausgelegt werden.
2. Schnellprüfungen für beschleunigte Entscheidungen und geringere Unsicherheit
Das aktuelle SFV erzeugt oft monatelange Unsicherheit, bis die Rentenversicherung den Status von Selbstständigen endgültig bestimmt. Eine schnellere, weniger aufwendige Schnellprüfung soll es ermöglichen, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kurzfristig prüft, ob eine detaillierte Untersuchung nötig ist. Diese Schnellprüfung könnte je nach Art und Umfang der Tätigkeit in vier Schritten erfolgen:
Schnellprüfung 1: Ein:e Selbstständige:r zahlt freiwillig einkommensabhängig in die DRV ein. Da eine Feststellung der abhängigen Beschäftigung keine höheren Zahlungen zur Folge hätte, könnte die Prüfung entfallen.
Schnellprüfung 2: Der/Die Selbstständige erfüllt bereits die Rentenversicherungspflicht, wie es etwa für bestimmte Tätigkeiten (z. B. selbstständige Handwerker:innen oder Lehrer:innen) vorgesehen ist.
Schnellprüfung 3: Bei einer nebenberuflichen Selbstständigkeit liegt das Hauptgehalt aus einer Anstellung und damit auch die soziale Absicherung vor, womit ein SFV unnötig ist.
Schnellprüfung 4: Falls eine Altersvorsorgepflicht (AVP) in Kraft tritt, sollte für Selbstständige, die entsprechend vorsorgen, ebenfalls von einem SFV abgesehen werden.
Die Schnellprüfung würde nicht nur die Durchlaufzeiten verkürzen, sondern auch mehr Planungssicherheit schaffen.
3. Keine Beitragsnachforderungen für die Vergangenheit
Wenn ein SFV nachträglich eine abhängige Beschäftigung feststellt, kann dies für Auftraggeber:innen und Selbstständige hohe Beitragsnachforderungen bedeuten. Bis 2007 galt der § 7b SGB IV, der dies verhinderte und eine zukunftsorientierte Prüfung ermöglichte. Der Vorschlag fordert die Wiedereinführung des § 7b, um den Prüfungszeitraum ausschließlich auf zukünftige Tätigkeiten zu begrenzen. Dies würde für die Betroffenen mehr Rechtssicherheit schaffen und unverhältnismäßige Rückforderungen vermeiden.
4. Praktische Umsetzung eines modernen und lebensnahen SFV
Um das SFV effizienter und transparenter zu gestalten, sollen mehrere Umsetzungsmaßnahmen eingeführt werden:
- Klarere Formulierungen und Online-Antragsverfahren: Die Fragebögen der DRV sollen präziser und online ausfüllbar gemacht werden. Dies könnte den Antragsprozess vereinfachen und die häufigen Missverständnisse in der Statusfeststellung reduzieren.
- Entscheidung bei Konsens: Wenn beide Parteien (Auftraggeber:in und -nehmer:in) übereinstimmend von einer selbstständigen Tätigkeit ausgehen, soll dies nach zwei Monaten als genehmigt gelten, sofern keine anderslautende Entscheidung getroffen wurde.
- Schaffung eines Beratungsgremiums: Ein Beratungsgremium bei den Sozialversicherungsträgern aus Arbeitgebern und Selbstständigen soll als neutrale Instanz über die Umsetzung der Kriterien und Verfahren beraten.
- Definition des unternehmerischen Risikos in der digitalen Arbeitswelt: Die Risikodefinition soll an die Gegebenheiten der digitalen Arbeitswelt angepasst werden, wo Wertschöpfung häufig nicht mehr durch Mitarbeitende oder Kapital, sondern durch Spezialwissen und digitale Infrastruktur entsteht.
5. Fokus auf Vorsorgefähigkeit und Vorsorge
Die Reform betont, dass das SFV vor allem dort eingreifen sollte, wo sozial schutzbedürftige Selbstständige möglicherweise von Auftraggeber:innen abhängig sind. Dabei soll jedoch nur auf tatsächliche Vorsorgefähigkeit und die realen Vorsorgehandlungen fokussiert werden. Eine Selbstständigkeit wird durch angemessene Vergütung und die Möglichkeit zur Altersvorsorge definiert. Selbstständige, die eigenverantwortlich vorsorgen, sollten nicht nachträglich in ein Abhängigkeitsverhältnis gezwungen werden. Besonders die ersten beiden Positivkriterien, Vorsorgefähigkeit und Altersvorsorge, sollen das Schwergewicht bei der DRV-Prüfung bilden.
Unterstützung durch den Deutschen Juristentag
Die Forderungen der Selbstständigenverbände decken sich mit den Empfehlungen des Deutschen Juristentages 2024. Die beschlossene Empfehlung des Juristentages fordert, dass eine selbstständige Tätigkeit widerlegbar vermutet wird, wenn Auftraggeber:in und -nehmer:in einvernehmlich von einer Selbstständigkeit ausgehen, und wenn der:die Auftragnehmer:in eine angemessene soziale Absicherung gegen die Risiken von Krankheit und Altersarmut nachweisen kann.
Fazit
Die vorgeschlagenen Reformen zielen darauf ab, Rechts- und Planungssicherheit für Selbstständige und ihre Auftraggeber:innen zu schaffen und damit die wirtschaftliche Existenz von Selbstständigen besser abzusichern. Die Einführung von klaren Positivkriterien, einer Schnellprüfung und die Wiedereinführung des § 7b SGB IV zur Vermeidung von rückwirkenden Nachforderungen könnten das Statusfeststellungsverfahren grundlegend verbessern. Durch die vorgeschlagenen Maßnahmen würde das SFV den modernen Arbeitsbedingungen besser gerecht und könnte Missverständnisse, Verzögerungen und unverhältnismäßige Sanktionen vermeiden.
Das Positionspapier setzt sich für eine lebensnahe und faire Umsetzung des SFV ein, das Selbstständigkeit als eigenständiges Erwerbsmodell respektiert und die Risiken und Bedürfnisse dieser Berufstätigkeit ernst nimmt. Ein rechtssicheres, transparentes und zukunftsorientiertes SFV soll letztlich zur Stabilisierung der Selbstständigkeit in Deutschland beitragen.
Wir danken allen Kolleg:innen in der BAGSV für den unermüdlichen gemeinsamen Einsatz für die Interessen aller Selbstständigen, den niemand von uns allein so auf die Schiene bringen könnte.