Was Frank Kunerts Werke auszeichnet, ist vor allem das Gefühl, das sie in einem auslösen. Die eigens für die Fotografien gebauten Miniaturkulissen zeigen dem Betrachter die Skurrilitäten des Daseins auf und katapultieren ihn in eine Scheinwelt, die unserer sehr ähnelt. Die vermeintliche Vertrautheit mit der Szenerie wird jedoch durch den zweiten Blick gestört und lädt zum Nachdenken ein. Die neue Ausstellung Wunderland zeigt neben teils großformatigen Fotografien auch einige Originalmodelle.
Wieso die AGD gerade diese Ausstellung unterstützt, was Till Eulenspiegel, Kreative und Frank Kunert gemeinsam haben und wie viel Schabernack die Welt gerade braucht – das alles findet ihr im Interview mit Frank Kunert, dem Museumsdirektor Benedikt Einert und der AGD heraus.
In jeweils drei Fragen rund um die Themen Kunst, Kreativität, Till Eulenspiegel und Weltgeschehen nähern wir uns den Blickwinkeln und Überzeugungen der Beteiligten an und erfahren, was sie antreibt, woran sie glauben und was sie sich für die Zukunft wünschen.

Drei Fragen von der AGD an: Frank Kunert

AGD: Deine Werke bewegen sich zwischen Fotografie, Skulptur und Inszenierung. Wie findest du die Balance zwischen technischer Perfektion und spielerischem Humor?
Frank Kunert: Vielleicht ist es ein bisschen wie im Theater: Die Technik bietet eine Bühne, auf der sich das Spielerische austoben darf. Und dieses Spielerische hat viel mit Ausprobieren und einer gewissen Unbefangenheit zu tun. Ideen werden weitergesponnen, das Absurde und auch mal das Alberne zugelassen und dann mit dem Ernst des Lebens vermischt. Auch das direkte Tun mit den Händen ist hierbei eine Erfahrung, die den Prozess Schritt für Schritt begleitet. Im günstigen Fall entsteht die Balance von allem letztendlich intuitiv. Aber manchmal ist das alles auch ein zähes Ringen – was ebenfalls dazugehört.




AGD: Viele deiner Miniaturwelten wirken vertraut und gleichzeitig irritierend. Stets möchte man mindestens zweimal hinschauen. Wann hast du zuletzt im Alltag gedacht: »Das ist eigentlich schon wieder eine Kunert-Szene«?
Frank Kunert: Es gibt schon skurrile Orte auf der Welt – das beginnt oft im persönlichen Umfeld. Und dennoch habe ich da keine spezifische Szene im Kopf. Es ist eher so, dass meine Ideen überwiegend aus eigenen Erfahrungen, Begegnungen oder Beobachtungen entstehen, die zunächst nichts mit Architektur zu tun haben. Diese dient mir aber dazu, die Geschichten zu tragen, die ich erzählen möchte. Und doch sehe ich natürlich manchmal Häuser, die einen besonderen Reiz auf mich ausüben. Es sind dann aber nicht die „Kunert-Szenen“, die Du erwähnst, sondern eher eine ganz normale Alltagsarchitektur, die für mich das Schöne im Hässlichen aufweist. So etwas finde ich spannend, und da kann es vorkommen, dass mein Kopf anfängt, das Gesehene weiterzudenken.




AGD: Dein künstlerisches Schaffen erfordert Zeit, Handwerk und Geduld – Werte, die im hektischen, auftragsbezogenen Designalltag leicht untergehen. Was würdest du Gestalter:innen mitgeben, die ihre eigene Balance zwischen Auftrag und freier Arbeit suchen?
Frank Kunert: Ich weiß jetzt nicht, ob ich da der Richtige bin, anderen Menschen etwas mit auf den Weg zu geben. Ich kämpfe wie viele gegen den lauten Trubel des Lebens an und bin nicht immer der Geduldigste. Aber bei freien Arbeiten finde ich dann eine Ruhe, wenn langsam etwas entsteht, zu dem ich Stück für Stück eine Verbindung aufbaue. Wenn es so läuft, dann ist das herrlich! Aber hierzu muss man sich auch manchmal Zeit »freischaufeln«. Und dass so etwas tatsächlich gelingt, hängt sicher auch davon ab, ob ich mich auf das langsame Tun einlasse und nicht sofort aufgebe, wenn nicht gleich alles klappt wie gewünscht. Dranbleiben und auch Fehler zulassen, das finde ich oft die beste Basis.



Drei Fragen von der AGD an: Benedikt Einert

AGD: Till Eulenspiegel wird bei euch nicht nur als der alberne Schelm porträtiert, sondern vor allem als jemand, der irritiert und überrascht. Er hält der Gesellschaft den Spiegel vor und weist sie auf ihre Absurditäten hin. Wie viel mehr oder weniger Till Eulenspiegel braucht die Welt?
Benedikt Einert: Zuerst hoffen wir wahrscheinlich auf weniger Absurditäten. Aber das ist wohl keine Option. Und dann braucht es natürlich viel Till Eulenspiegel. Till ist ja eine seit über 500 Jahren immer wieder aktualisierte Figur, die genau darin ihre Rolle hat. Man muss sie, egal in welchem Jahrhundert und in welchem Kontext sie auftritt, als radikal subversiv verstehen. Daran hängt in jeder Gegenwart aber immer die Frage, gegen welche Ordnung Till sich eigentlich richtet. In der Covid-Pandemie bemerkte ein Gast kritisch, dass Till sicher keine Maske im Museum getragen hätte – das mag schon sein. Im Herbst 2025 würde Till aber vielleicht gegen den Strom in die Armbeuge niesen oder Hände waschen.




AGD: Frank Kunerts Werke sind skurril und zeigen einen besonderen Blick auf die Welt. Worin sind sich seine Sicht auf die Dinge und die von Till Eulenspiegel ähnlich? Was unterscheidet sie?
Benedikt Einert: Ähnlich sind sie sich wohl in ihrer Klarheit, mit der die Absurditäten unserer Gegenwart vor ihnen liegen. Damit Till sie den Menschen ins Gesicht halten bzw. Frank Kunert sie ins Bild setzen kann, müssen sie diese so sehen, wie andere das vielleicht (noch) nicht können. Der Angang danach ist aber ganz anders: Frank Kunerts Bilder sind vielleicht von schwarzem Humor durchtränkt, aber nie zynisch. Sie sind oft zutiefst empathisch und trotz der Menschenleere schwingen Fragen von Macht und Verantwortung in seinen Bildern immer mit. Till wiederum würde radikal andersherum auf die Absurditäten der Welt hinweisen.


AGD: Digitalisierung, Rückgang der Förderung, Arbeitskräftemangel: Die Herausforderungen für kleine Kulturbetriebe sind aktuell nicht wenige. Wie viel Till Eulenspiegel muss ein Museumsdirektor im ländlichen Niedersachsen heutzutage in sich tragen?
Benedikt Einert: Umgangsformen sind schon gefragt, in sozialen Kontexten wäre Till ein schlechter Ratgeber. Der Schriftsteller Thomas Brasch sprach einmal über Till als Identifikationsfigur, „die alles macht, was die, die seine Geschichten erfinden, nicht machen können.“ Das hilft als Idee natürlich sehr, weil es daran erinnert, immer mal die Frage zu stellen, was man alles nicht machen kann und warum eigentlich – und ob nicht doch. Meine Erfahrung ist, dass sich gerade für eine kleine Einrichtung wie unsere Köpfe und Türen öffnen, wenn man das fragt.



Drei Fragen von Benedikt Einert an: die AGD

Benedikt Einert: Frank Kunerts Bilder laden dazu ein, länger hinzuschauen, Details zu entdecken, nach und nach neue Bedeutungsebenen aufzuschließen. Wie wichtig ist dieser zweite Blick auch für zeitgenössische Gestaltung, die in einer schnelllebigen, digitalen Welt oft nur im Vorbeiscrollen wahrgenommen wird?
AGD: Er ist überlebenswichtig. Gewiss kann gute Gestaltung ihre Wirkung beim ersten schnellen Blick entfalten. Den zweiten Blick brauchen wir, um ihr Angebot zum Austausch, zum Diskurs zu erkennen und anzunehmen. Austausch und Diskurs wiederum brauchen wir, um als Gemeinschaft und Individuen zu überleben.




Benedikt Einert: Die Ausstellung »Wunderland« zeigt, wie Gestaltung irritieren, zum Schmunzeln bringen und zugleich zum Nachdenken anregen kann. Welche Rolle spielen solche Momente von Irritation und Überraschung auch im Arbeitsalltag von Designerinnen und Designern?
AGD: Manchmal berichten unsere Mitglieder davon, dass sie ihren Kund:innen erklären sollen, warum sie fünf Stunden für die Ideenfindung brauchen. Die ehrliche Antwort müsste dann lauten: Weil die Momente von Irritation und Überraschung sich nicht auf Befehl innerhalb von 30 Minuten einstellen. Und die brauchen wir, um gute Arbeit zu leisten. So überlebenswichtig der zweite Blick ist, so unverzichtbar sind Irritation und Überraschung.



Benedikt Einert: Warum ist es für euch als Berufsverband wichtig, eure Anliegen auch in kulturellen Kontexten vorzubringen – etwa durch die Unterstützung einer Kunstausstellung, (gerade in kleinen Häusern im ländlichen Raum)?
AGD: Kunst und Kultur bewahren uns vor dem Rückfall in die Barbarei. Wann, wenn nicht jetzt, muss uns das klar sein und müssen wir alle unseren Beitrag dazu leisten, dass sie dies tatsächlich tun können. Daher sehen wir es als unsere Aufgabe an, kulturelle und künstlerische Projekte im ländlichen Raum zu unterstützen – in Berlin, Hamburg und München tun das schon genug andere Leute. Wir hoffen auf Inspiration, Austausch, vielleicht auch ein neues Nachdenken über die eigene Arbeit – alles das. Wahrscheinlich auch, dass unsere Mitglieder sich bei der AGD gut aufgehoben fühlen, weil wir Ausstellungen wie »Wunderland« unterstützen und mit ihren Mitgliedsbeiträgen Gutes tun.




Credits:
Foto von Benedikt Einert: Yannic Kahrens
Bilder von Frank Kunert: Copyright by Frank Kunert.
Alle Innenaufnahmen des Museums sind von Anna Meurer, die Außenaufnahme des Museums von Sebastian Petersen
Fortbildungen
-
-
Webinar: Wege ins Agentur-Nachfolge-Glück – Drei unterschiedliche Cases aus der Praxis