Nachrufe auf Günter Gerhard Lange

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„Ist das schon alles? Also ich kann noch …“

Als Günter Gerhard Lange am 2. Dezember 2008 starb, hinterließ er eine Anzahl unsterblicher Schriften und viele Menschen, die ihn verehrten und liebten. Wir lassen an dieser Stelle einige von ihnen zu Worte kommen. Es sind persönliche Worte über das Leben, das Schaffen, den Mut und den Humor von Günter Gerhard Lange – den viele auch als GGL kannten.

Heide und Lutz Hackenberg

Seine typografischen Vorträge waren brillante Feuerwerke 

Mit Günter Gerhard Lange hat die AGD ein weiteres Ehrenmitglied verloren, dem viele von uns nachtrauern. Er ist am 2. Dezember im Alter von 87 Jahren in München gestorben. GGL – so sein prägnantes Kürzel – war ein Vorbild in vielerlei Hinsicht. Seine berufliche Qualifikation als Schriftenentwerfer, Typograph und Lehrer war unübertroffen. Als künstlerischer Leiter der Berthold AG hat er fast hundert Originalschriften entwickelt, wie die Concorde, die Akzidenz Grotesk Buch und die Imago, später auch digitalisierte Adaptierungen und Neuinterpretationen historischer Schriftschnitte wie die Garamond, die Walbaum-Antiqua oder die Caslon.

Parallel zu seiner Unternehmenstätigkeit war GGL stets ein gefragter Dozent, aber vor allem ein brillanter Redner. Seine typografischen Vorträge im Rahmen der AGD-Tagungen auf Schloss Waldeck waren brillante Feuerwerke. Er sprach druckreif, mitunter provokativ, aber immer klar, prägnant und sachlich. Ein Kollege bezeichnete ihn einmal als „das Maschinengewehr Gutenbergs“, ein treffender Vergleich. GGL war stets um optimale Lesbarkeit sowie eine Weiterentwicklung der Schriftkultur bemüht, was ihm den Nimbus einer ‹skriptoralen Instanz von Weltgeltung‹ eintrug.

Eine weitere Stärke war seine Motivationskraft. Wenn er bei zaghaften jüngeren Kollegen, die ihn um Rat fragten, gute Ansätze sah, bestärkte er sie in ihren Versuchen und prophezeite erfolgreiche Entwicklungen. Dies haben wir mehrfach bei den Mappenpräsentationen erlebt und konnten die sich entwickelnden Selbstwertgefühle junger Kollegen beobachten. Natürlich hat er auch kritisiert, wenn er Fehlversuche zu beurteilen hatte. Aber nie verletzend, sondern sachlich und konstruktiv.

Günter Gerhard Lange wurde international mit vielen Ehren und Auszeichnungen bedacht, denn er hat mit seinem Wissen und seiner fachlichen Qualifikation die Schriftkultur nach dem 2. Weltkrieg entscheidend mitgeprägt. Die AGD trauert um ein langjähriges Ehrenmitglied.

 

Andreas Maxbauer

Der spröde Liebende

Günter Gerhard Lange ist tot. Der große Typograf war uns über Jahrzehnte präsent, wir konnten die Kraft seiner Gegenwart spüren, sein Schaffen in seinen zahlreichen Schriften sehen und ihn in vielen Vorträgen – auch auf Schloss Waldeck – hören.

Günter Gerhard Lange beschrieb die Schrift gern als eine „spröde Geliebte“. Dieses Empfinden ist in seinen Schriften gut sichtbar, ihnen sind Schönheit, Kühle, Brillanz und Eleganz aber auch oft eine gewisse Härte gemein.

Über seine Geliebte hat sich Günter Gerhard Lange treffend selbst beschrieben. Er war durch und durch ein Ästhet mit einem hervorragenden Gespür für Rhythmus, für Ruhe, für stimmige Interpretation. Er war jemand, der andere für die Typografie zu gewinnen und ihnen die Augen zu öffnen vermochte. Als „GGL“ schätzte er den kollegialen Umgang, er war gern und viel auf Typografieveranstaltungen zugegen.

Seine sprachlichen Fähigkeiten, sein Ausdrucksvermögen und seine Sprachgewalt waren einzigartig und trugen ihm den Titel „Maschinengewehr Gutenbergs“ ein. Günter Gerhard Lange konnte und wollte streiten – für typografische Qualität und gegen Engstirnigkeit im Denken und Gestalten. Oft hat der Achtzigjährige die Entwürfe junger Gestalter gegenüber den Etablierten verteidigt. Wichtiger als das Stilreine, waren ihm die Haltung der Entwerfer und die sichtbare Sensibilität gegenüber dem Inhalt. Hier sparte er weder mit Lob noch mit Tadel.

Wenn Schrift die spröde Geliebte Günter Gerhard Langes war, so war er ihr ein perfektes Gegenüber. Er wird uns als ein spröder Liebender im Gedächtnis bleiben.

 

Wolfgang Beinert

Bleibt hartnäckig!

Unsere Kollegin Christina Sahr bat mich, einen Beitrag für diese Gedenkseite zu schreiben. Seitdem denke ich darüber nach, was ich preisgeben darf – und was wohl zu privat wäre.

Den älteren Kolleginnen und Kollegen unter uns muss ich wohl kaum etwas über »GGL« erzählen. Denn selbst seine Initialen hatten bereits zu seinen Lebzeiten den Nimbus einer »skriptoralen Instanz« von Weltgeltung. Und das ist keine der heute so üblichen Übertreibungen oder Anbiederungen.

Den jüngeren unter uns möchte ich nur sagen, dass ich es schade finde, dass Sie ihn nicht mehr persönlich kennenlernen können. Gerade in einer Zeit der vielen Blender, Dummschwätzer und Möchtegerngroßen wäre er eine kolossale Bereicherung für unsere Branche, ein integres Vorbild und ein kluger, kritischer Kopf.

Die beste Art an Herrn Lange zu erinnern oder etwas über ihn zu erzählen, dürfte wohl die sein, »GGL« selbst zu Wort kommen zu lassen. Ich stelle Ihnen deshalb einige GGL-Zitate vor, die am 25. September 2003 während des Werkstattgesprächs »Der Herr der Schriften: Was war. Was ist. Was bleibt.« in meinem Münchner Atelier aufgezeichnet wurden. Günter Gerhard Lange, damals 82jährig, referierte manuskriptlos über drei Stunden lang im Stehen. Seine Frische und Direktheit ließen damals die Zeit im Nu verfliegen …

»Was ist denn nun? Wo waren Sie denn die letzten zwei Jahre?«
(Die ersten beiden Sätze von Günter Gerhard Lange zu den 96 Gästen von Wolfgang Beinert)

»In einem französischen Lazarett während des II. Weltkriegs hörte ich ständig BBC … Heute ist der 131. Tag, nachdem Hitler den Krieg vom Zaun gebrochen hat … Es folgten die Zahlen der Toten und Verwundeten. Ich beschloss damals, zukünftig nur noch die Wahrheit zu sagen und meinen Mund rechtzeitig aufzumachen

»Ich fuhr nach Berlin. Dort eröffnete sich mir eine ganz neue Welt: schillernd, vielfältig, frisch. Ich staunte über die Mannigfaltigkeit an Museen, Konzerten, Galerien, Kinos …«

»Bei meinem ersten Vorstellungsgespräch sagte ich den Herren, ich wollte Berthold besser als die Monotype machen. Doch die hielten mich für größenwahnsinnig und lehnten mich entschieden ab. Aber ich blieb hartnäckig. Mir gefiel das Backsteingebäude. Es gab mir ein heimisches Gefühl …«

»Ich wollte besser als die Monotype sein.« (…) »Die Monotype bestätigte mir dann Jahrzehnte später, dass einige meiner Schriften den ihren überlegen waren«.

»Sich zu bewerben, ist Quatsch. Ihr müßt persönlich hingehen! Und bleibt hartnäckig. Setzt euch ein Ziel!«

»Seid doch nicht so brav!«

»Pförtner und Hausmeister kennen einen Betrieb am besten. Sie kennen dort jeden. Redet mit ihnen. Fragt sie doch einfach, wer für was zuständig ist.«

»Heute übertreffen England, Holland und Amerika Deutschland weit an Qualität, Anzahl, Kreativität und Innovation der Schriften, des Designs, der Werbung. Woran das liegt? Vor allem daran, dass im II. Weltkrieg enorme Schätze in den Bibliotheken zerstört wurden. Es gingen Geschichte, Kultur und Farbauszüge verloren.« (…) »Zum anderen, weil die Deutschen nicht fähig sind, etwas auf den Punkt zu bringen. Liest man ein Buch auf deutsch, so kommt man auf Seite 24 zu seiner Kernaussage. Bei einem englischen Buch hingegen auf Seite 3! Und deswegen ist das wichtigste im Beruf des Designers, heutzutage Englisch fließend zu beherrschen und sich das Wissen aus englischen Quellen zu holen.« (…) »Auch halten die Deutschen die Menschen immer für viel zu blöd. Man traut sich nicht, mit Humor Werbung zu machen, weil man Angst hat, dass es niemand versteht.«

»Was soll denn ein 82jähriger mit den typographisch minutiösen Arbeiten von Herrn Beinert? (GGL lacht). Sie sind so wunderschön, dass man andächtig und sprachlos davor stramm steht. Aber welcher 80jährige kann denn schon eine 4 Punkt Schrift lesen?«

»Das wichtigste ist, sich über seine Zielgruppe im Klaren zu sein.«

»Design muss sich mit der Zeit verändern, mit dem Produkt wachsen.«

»Ich lese die Süddeutsche Zeitung jeden Tag, weil der Inhalt einfach gut ist. Aber ich rege mich jedes Mal über das Layout auf. Das Layout ist aus der Steinzeit.«

»Bei gutem Design muss man außerdem den Produktionsvorgang von A bis Z überwachen.« (…) »Und da wären wir auch schon bei Lenin. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Seid Perfektionisten!«

»Macht den visuellen Teil zum Hauptbestandteil eures Bewußtseins. Denn man muss den Betrachter neugierig machen.«

»Bleibt hartnäckig! Ich bin immer durch Widerstände weitergekommen. Wenn es hieß, etwas geht nicht, habe ich mich immer gewehrt.«

»Ach, Herr Uebele, ich wollte Sie immer schon mal anrufen. Was können Sie uns denn dazu sagen …« (GGL ohne Vorwarnung zu Andreas Uebele, Stuttgart, der zuerst etwas irritiert war.)

»Da hinten sehe ich jemanden, den ich kenne. Herr Moser. Beantworten Sie uns doch mal folgende drei Fragen. Erstens …« (GGL ohne Vorwarnung nun zu Horst Moser, München, der ebenfalls zuerst etwas irritiert war.)

»Die durchgezogene, einheitliche Linie – das ist es, was ein Produkt vollkommen macht!«

»Ich war der Meinung, dass die Rotis von Otl Aicher nicht zu Berthold passte.«

»In München experimentieren sie schon seit einiger Zeit mit Schrift im öffentlichen Raum. Jedoch noch sehr zaghaft. Die Straßenschilder sind zu einheitlich. Sie müssten in Schrift und Layout besser lesbar sein, nicht zu enge oder zu weite Laufweiten haben oder auch nicht zu dünne Buchstaben. Auch hier bilden wiederum die Engländer den Kontrast mit gut lesbaren Straßenschildern auf unterschiedlichsten Hintergrundfarben.«

»Man muss den Mut haben, auch mal alles, was bisher für ein Projekt erarbeitet wurde, umzuwerfen und neu anzufangen. Jegliche Art der Gestaltung ist nämlich häufig nach weniger als sechs Jahren überholt.«

»Ein guter Typograph, Graphiker oder Designer muss mit Leib und Seele, einem Übermaß an Begeisterung und Interesse bei der Sache sein. Nur mit Leidenschaft kommt man, wie in der Liebe, im gesamten Leben oder beim Lernen, so auch im Design weiter.«

»Ist das schon alles? Also ich kann noch …
Sie dürfen nun aufbrechen zu sich selbst!
Sie dürfen manchmal Egoist sein!
Sie müssen sogar Egoist sein!
Aber ohne anderen die Suppe zu versalzen!
Pflegen Sie, was Sie wollen und was Sie können, soviel und sooft es geht!«
(GGL um 23.30 Uhr zu den inzwischen sehr ruhig gewordenen Gästen von Wolfgang Beinert)

»Beinert, Sie sind ein Royalist. Ich muss vor Ihren Arbeiten immer in Ehrfurcht stramm stehen. Eigentlich müssten Sie ja für die CSU arbeiten«. (Die letzten Worte von GGL zu Wolfgang Beinert, bevor er das Atelier verließ. Beinert: Schluck!)

»Sie fahren ja wie die Feuerwehr!«
GGL während der Heimfahrt zu Nathalie Halgand, die damals Volontärin bei Wolfgang Beinert war und GGL nach Hause fuhr.)

Goodbye, Herr Lange und vielen Dank für alles!

 

Mehr zu Günter Gerhard Lange
  • Typolexikon || Diese Biografie, verfasst von Wolfgang Beinert, wurde im September 2003 von Günter Gerhard Lange persönlich korrigiert und autorisiert.
  • TYPO Berlin Videoblog || Die Inszenierung einer Botschaft in der Fläche, TYPO Berlin 2006
    „Dieser legendäre Vortrag Günter Gerhard Langes aus dem Jahr 1996 war bisher – leicht gekürzt – auf Vinyl-LP erhältlich. Nun liegt er ungekürzt vor, 68 Minuten GGL in guter Tonqualität und mittelmäßiger Bildqualität. Trotzdem ein Genuss. Unvergessen Langes Titulierungen für Briefträger (‚Schwein‘, ‚Ferkel‘, ‚Sau‘ …), die wertvolle Drucksachen, kurz vor ihrer Ankunft, in den Briefkasten hineinknicken (ab min 00:48).“
  • TypeFORUM || Günter Gerhard Lange: Hypothesen – Thesen zur Typografie
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