Das Gemeinwohl-Einhorn

© Christhard Landgraf

Bericht von Christhard Landgraf vom SmP-Seminar »Wege in die Postwachstumsgesellschaft«

Wuppertal, 10.–13. Mai 2018

Die Studienstiftung des deutschen Volkes

Was haben Oliver Samwer (u. a. Zalando), Ulrike Meinhof (u. a. RAF) und Eckart von Hirschhausen (u. a. Kabarettist) gemeinsam? Alle drei waren Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes.
Die Studienstiftung des deutschen Volkes e. V. fördert seit 1925 besonders begabte Studierende und Doktoranden finanziell und ideell. Zurzeit werden rund 12.900 Studierende und etwa 1.100 Doktoranden gefördert.
Eine Form der Unterstützung ist die Möglichkeit der Stipendiaten selbst Seminare, Tagungen und Exkursionen zu organisieren – »SmP – Stipendiaten machen Programm«.

Die Einladung: Was kann ein Gestalter für Input geben?

Ich erhielt eine Einladung für das SmP-Seminar »Wege in die Postwachstumsgesellschaft« als Dozent der AG 4 mit dem Thema: »Probieren Sie Nichts!« – Design, Narrative und Marketing von Postwachstums-Utopien. Die drei anderen AGs beschäftigten sich mit Bedingungen und Dynamiken gesellschaftlichen Wandels, Ethik der Nachhaltigkeitstransformation und inwieweit individuelle Lebenspraktiken als Vorreiter des gesellschaftlichen Wandels geeignet sind.

Da hing die Latte für mich sehr hoch. Was kann ich als anwendungsbezogener Gestalter diesem illustren Kreis für Input geben? Die Teilnehmerliste (20) machte mich nicht ruhiger: Chemiker, Mediziner, BWLer und VWLer, Politik- und Geschichtswissenschaftler, Psychologe, Umweltingenieur … von Universitäten aus dem gesamten Bundesgebiet.

Design Thinking – Die Rettung

Was die Teilnehmer wohl noch brauchen könnten ist etwas Einführung in kreatives Arbeiten im Team.
Design Thinking, meine Rettung. Ich baute das viertägige Seminar danach auf. Input lieferte ich in den Bereichen kreative Methoden, Ausweitung der Designzone mit dem Akzent auf Critical Design in Hinblick auf Postwachstum (PW), Kommunikation und Innovation (Provokation). Der wichtigste Teil sollte die Projektarbeit am »Probieren Sie Nichts!?« sein.

Mit gemischten Gefühlen reiste ich an. Aber meine Befürchtungen waren völlig unbegründet. Mich empfingen freundliche, offene, fröhliche, engagierte und wissensdurstige junge Menschen. Auch war ihre Erwartungshaltung sehr hoch. Und sie wurde noch höher als ich ihnen sagte, dass es unser Ziel ist am Ende des Seminars den anderen AGs einen Prototyp zu »Probieren Sie Nichts!?« zu präsentieren.

Ehrlich gesagt, ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht ob wir es schaffen. Darum bat ich alle Teilnehmer, auch die der anderen AGs, uns beim Sammeln von Ausgangsmaterial für unseren Prototypen zu unterstützen. Meine Bitte im Plenum: »Postwachstum ist mit Konsumverzicht verknüpft. Wenn ihr also hier schon mal probieren wollt, bringt das Artefakt auf das ihr verzichtet doch einfach bei uns vorbei.« Großes Hallo!

arah Demlehner, Wanderung nach „Utopiastadt“, ein Kreativnetzwerk mit Büros, Ateliers und Coworking Space
Foto: Sarah Demlehner, Wanderung nach „Utopiastadt“, ein Kreativnetzwerk mit Büros, Ateliers und Coworking Space

Von Wegen: »Jetzt sagt er uns bestimmt was wir bauen sollen«

Die ersten drei Tage – Input von mir, Einstimmung, Zielbestimmung (positiv und konkret), Lösungsansätze und Ideen suchen (differenziert und situativ) inklusive Brainstorming und Kleingruppenarbeit – waren sehr intensiv. Am Morgen des vierten Tages (heute wird’s gemacht) schaute ich in erwartungsvolle Gesichter (»Jetzt sagt er uns bestimmt was wir bauen sollen«).

Ich habe den Teilnehmern dann nur erklärt, wie sie vorgehen sollen:
– Symbole und Bilder für die Umsetzung der Idee suchen
– mit den vorhandenen Materialien bauen
– die so entstandenen Objekte mit Bedeutung aufladen
– eine Geschichte dazu erzählen
– sollten mehrere Objekte oder Geschichten entstehen, mit einer neuen Geschichte zusammenbringen

Die Geschichte vom Gemeinwohl-Einhorn

Innerhalb von einer Stunde hatten sie ohne mein Zutun ihren Prototypen fertig. Dann wurde noch eine Stunde daran gefeilt und geübt.

Der Prototyp, der auf dem Abschlussplenum präsentiert wurde, war eine Performance, ein von 18 Stipendiaten gespieltes Narrativ. Es war die Geschichte vom Gemeinwohl-Einhorn.

Alle, bis auf ein Öko-Paar, setzten auf eine Karte, das Wachstumspferd. Unter der Last der Vielen bricht das Wachstumspferd tot zusammen. Ratlosigkeit und Angst breiten sich aus. Durch individuelle Kommunikation des Öko-Paares, der Innovatoren, mit den anderen, greifen die Ideen des Gemeinwohls um sich. Die ersten überschreiten den Rubikon in Richtung Postwachstumsgesellschaft. Die anderen folgen nach und nach. Das Wachstumspferd wird als Gemeinwohl-Einhorn wiedergeboren. Als alle den Rubikon überschritten haben, fangen sie an zu tanzen. Erst verhalten, dann setzt Musik ein und es wird ein ausgelassenes Fest. Spontan fängt das gesamte Plenum an zu tanzen.

Innerhalb von weniger als sieben Minuten hat der Prototyp das Plenum erfasst.

Mein Fazit:

Das waren vier spannende und tolle Tage. Neben dem unerwarteten Ergebnis waren es besonders die Stipendiaten, die mich so positiv überraschten – in der Arbeit in der Gruppe aber auch bei den vielen Gesprächen, die ich mit ihnen hatte. Weiterhin war die Zusammenarbeit mit den anderen Dozenten (Philosoph, Historiker und Ethiker) sehr fruchtbar. Ich habe ganz viel gelernt über Menschen, über Postwachstum und über mich.

Das Video und alle Fotos sind leider nur für den studienstiftungsinternen Gebrauch freigegeben. Wer Lust hat, sich das Video mal anzusehen, muss bei mir vorbeikommen.

Berlin, 17. Mai 2018

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