Der 90. Geburtstag – oder Dinner „für lumpige 25 Mark“

Geistreich, geradeheraus und ganze Generationen prägend. Die Karikaturistin Marie Marcks wird am 25. August 90 Jahre alt und beschreibt im Interview mit spiegel.online zu diesem Anlass einmal mehr, dass Relevanz, Einfluss oder Berühmtheit nicht automatisch Reichtum und ein sorgenfreies Leben bedeuten.

Marie Marcks’ Ausbildung fiel in die Kriegsjahre. Die Tochter eines Architekten und einer Grafikerin und Kunstlehrerin trat in die Fußstapfen ihrer Eltern und absolvierte zunächst eine Ausbildung in der Berliner Kunstschule an der ihre Mutter unterrichtete, um dann ein Architekturstudium in Berlin und Stuttgart zu beginnen. Mit den Karikaturen startete sie erst später, Anfang der 1960er Jahre, und sandte ihre Zeichnungen aus dem heimatlichen Heidelberg per Post in die Redaktion der Süddeutschen Zeitung nach München. Aus den Begrenzungen, die der Alltag für sie bereithielt – der Ehemann ein beruflich bedingt abwesender, typischer Sonntagsvater dieser Zeit, die räumliche Entfernung zu den Redaktionen – machte sie ein stimmiges Geschäftsmodell: als freiberufliche Karikaturistin brachte sie Beruf und die Kinder unter einen Hut, ihre Themen richtete sie an dauerhaften Themen aus. Marie Marcks ist bis heute eine kritische Kommentatorin des Verhältnisses von Männern und (ihren) Frauen in Gesellschaft und Familie sowie von rechtsradikalen Tendenzen und Phänomenen.

Sie begleitete zeichnerisch den gesellschaftlichen Umbruch der 1970er- und 1980er-Jahre. Vielleicht darf man auch so weit gehen zu sagen, dass sie Impulse und Anlässe zum Nachdenken gab, die dazu beitrugen, dass 1968 überhaupt Bewegung ins Land kam. Weil Marie Marcks politische oder alltäglich scheinende Situationen so haarscharf auf den Punkt brachte, dass sie entlarvend waren und gleichzeitig ein Lächeln hervorrufen konnten, wurden ihre Karikaturen echte Renner. So wurde der Einfluss von Marie Marcks enorm, in den feministischen oder ökologischen Intellektuellen-Szenen jener Zeit war sie nahezu jeder und jedem ein Begriff.

Dass sie auch mit 90 Jahren noch aktiv ist, sie regelmäßig arbeitet und zeichnet, ist nicht nur Ausdruck der Ernsthaftigkeit und Leidenschaft, mit der sie ihrem Beruf nachgeht. Trocken und ohne Gejammere beschreibt sie, die so viel(e) bewegte, dass die Kauf-Konditionen der Verlage selten angemessen waren: „Es hat mir Spaß gemacht, aber das Honorar war lumpig: 25 Mark für eine Karikatur. Und die gab’s nur, wenn sie [in der Süddeutschen Zeitung] gedruckt wurde.“(Quelle: Interview vom 09.08.2012 auf spiegel.online, abgerufen 22.08.2012) Auch das umfangreiche Oeuvre der Veröffentlichungen ist über das Internet auch Jahrzehnte nach dem Erscheinen noch reichlich zu finden – ab einem Cent…

Seit 1987 ist Marie Marcks AGD-Mitglied und wer ihren Vortrag auf einer AGD-Jahrestagung der späten 1990er-Jahre gehört hat, erzählt noch heute mit leuchtenden Augen davon. Eine Frau mit Charisma und Chuzpe, Sachverstand und spitzer Feder. Wir gratulieren sehr herzlich zum Neunzigsten!

  • Ausstellung vom 9. August bis 21. Oktober 2012
    „Marie Marcks“, Caricatura Museum, Weckmarkt 17, 60311 Frankfurt/M.
  • Buchtipp: „Marie, es brennt! Eine gezeichnete Autobiographie 1922 – 1968“ Kunstmann, 3. Auflage, 200 Seiten, ISBN 978-3888971518, 24,90 Euro
  • Geheimtipp: Vergünstigte Restauflage von „Hast Du jetzt den Überblick?“ Eine Sammlung von Karikaturen über alte und neue Bildungskatastrophen, anlässlich des 80. Geburtstags von Marie Marcks; Kunstmann, 1. Auflage von 2002, ISBN 978-3888973161, variable Preise/Antiquariat

1 Gesprächsbeitrag

  1. AGD-Redaktion |

    Ein Nachtrag der AGD-Webredaktion:

    Marie Marcks verstarb leider am 7. Dezember 2014 in Heidelberg.
    Wir trauern um sie.

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