QUEREINSTEIGEN – Eine Spätsommeraktion der AGD Berlin- Brandenburg

QUEREINSTEIGEN – Eine Spätsommeraktion der AGD Berlin-Brandenburg
Auftakt im „Bergstübli“
Wir trafen uns zum Mittagsmenü auf dem Sonnendeck des „Bergstübli“, der Offenen Kantine der „Malzfabrik“ in Tempelhof. Das Wetter meinte es gut, die Quellwolken führten nichts Böses im Schilde, unser Blick fiel auf vier riesige Darrenhauben auf dem Backsteingebäude gegenüber. Im Logo der „Malzfabrik“ werden die vier imposanten Hauben entsprechend gewürdigt.
Küchenchefin Sylvie Schürer hatte eine zur Jahreszeit passende leichte Gemüseuppe zubereitet, als zweiten Gang gab es Kartoffelgulasch „frei Schnauze nach Alfons S.“ (gemeint war wohl Alfons Schuhbeck ), dazu reichte sie frisch zubereiteten Salat. Im Anschluss an das Dessert rundeten wahlweise Kaffee oder Espresso das Menü ab.
Schon bald kommen Sylvie Schürers Speisen noch frischer auf den Tisch, wenn Fisch, Gemüse, Salat und Kräuter einen Steinwurf entfernt in der ECM Aquaponic-Farm gezüchtet, angebaut und geerntet werden. Frischer geht’s nicht.Wie es begann und weitergeht
Nicolas Leschke, Stellvertretender Geschäftsführer der „Malzfabrik“ und Mitgründer von „ECF – Efficient City Farming“ empfing uns vor der Erkundung des Geländes zu einer kurzen Einführung und Präsentation der „Malzfabrik“.
Es begann 1914: Die Schulheiss-Brauerei erschloss das Gelände in Tempelhof und baute eine für damals zeitgemäße Mälzerei. 1926 nahm Schultheiss die Malz-Produktion auf.Malz ist neben Hopfen, Wasser und Hefekulturen ein wichtiger Bestandteil im Brauprozess. Malz wird aus frischer Gerste gewonnen. Diese wird in mit Wasser gefüllten Keimkästen geweicht, die Körner quellen und bilden Keime. Hat der Keimprozess das optimale Stadium erreicht, wird die weitere Keimung durch Trocknen, das so genannte Darren, unterbrochen. Der beim Mälzen entstandene Malzzucker dient später den Hefekulturen, die den Alkohol im Bier bilden, als Nahrung.
40 Jahre später, 1996, stellte Schultheiss die Malzproduktion in Tempelhof ein.Etwas Neues sollte entstehen: Die Wandlung der Schultheiss-Mälzerei zum Kreativforum „Malzfabrik“.
2005 erwarb der Immobilien-Investor Frank Sippel, sein Schweizer Unternehmen Real Future AG und private Mit-Investoren das 2,7 ha große, brachliegende Areal an der Bessemerstraße.
Tenor: Das Projekt Malzfabrik wird ohne öffentliche Förderung finanziert.
Das Dach des Projekts „Malzfabrik“ bildet die IGG Malzfabrik mbH. Die Immobilien-Entwicklungsgesellschaft entwickelt und gestaltet den Ort, den Kreativität und Kultur prägen und sich durch nachhaltige Entwicklung auszeichnet. Frank Sippels Vision: „Wir verstehen uns als Insel in einem großstädtischen Gewerbegebiet, die zu unkonventionellem Denken einlädt.“

Der geglückte Quereinstieg:

  • Die eigene Vision leben.
  • Entwicklung und Wachstum selbst bestimmen.
  • Unabhängig bleiben von fremden Interessen.

Die aufwändige Sanierung des denkmalgeschützten Areals begann 2008. Derzeit wird die Restaurierung der Darrenhauben vorbereitet. Bei der Malzgewinnung sorgten sie für optimale Be- und Entlüftung der trocknenden Gerste.
Nahezu alle derzeit sanierten Flächen sind vermietet. An ständige Mieter (Produzierendes Gewerbe, Dienstleister, Kunsthandwerker, Bildende Künstler, Designer) und temporäre Nutzer (Medien-Produktionen, Event-Agenturen …).

Was Unternehmer unternehmen
Nach der Würdigung der historischen Mälzerei ging es im zweiten Teil des Rundgangs um „Hier und Jetzt“: Um Unternehmen, die hier ihren Platz gefunden haben, nicht zuletzt deshalb, weil
„das Klima stimmt“.
Drei Unternehmen, die mir während des Rundgangs auffielen, stelle ich kurz vor:

  • AfB – Europas erstes gemeinnütziges IT-Systemhaus,
  • Mohr Models – Beispiel für einen gelungenen Neustart
  • ECF – „Efficient City Farming“ – Ein Modell für ökologisch-ökonomisch sinnvolles Wirtschaften

AfB – Arbeit für Menschen mit Behinderungen gGmbH
Im Mai erhielt Paul Cvilak, Gründer der AfB, den Vision Award für die – wie es in der Laudatio hieß – „Entwicklung neuer, effizienter Ideen unter Beachtung ökologischer und sozialer Aspekte“.
Diese Auszeichnung ist der Nobelpreis für soziale Innovationen und wird alljährlich an herausragende Persönlichkeiten vergeben, die Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit geben.
Das Geschäftsprinzip des Unternehmens: Große Unternehmen und Öffentliche Einrichtungen, die ihre IT-Hardware erneuern, stellen ihre Altgeräte AfB kostenfrei zur Verfügung. AfB verfügt über zehn Standorte in Deutschland und Österreich, testet die Geräte dort, repariert sie gegebenenfalls und bringt sie wieder in den Handel, mit Garantie und zu günstigen Bedingungen. Die Hälfte der 160 Beschäftigten sind Menschen mit Handicap, Ziel ist es, sie dauerhaft in die Arbeitswelt zu integrieren. Aufbereitung und Verkauf der IT-Geräte bieten enorme ökologische Vorteile. AfB wird eine Öko-Bilanz erstellen und über erzielte Ressourceneinsparung und Reduzierung an Treibhausgasemission und Elektroschrott berichten.

Mohr Models – Gute Geschäfte mit Schaufensterfiguren
Als Jan Wegener vor acht Jahren ein – in die Jahre gekommenes – Traditionsunternehmen für Schaufensterfiguren übernahm, ahnte er nicht, dass ihm ein großer Sprung gelingen sollte. Blickt man in die Halle F der Malzfabrik, warten dort „Rohlinge“ – aus Kunststoff gefertigte Torsi, Köpfe, Beine und Arme – darauf, bearbeitet und zu Figuren zusammengesteckt zu werden. Machte Wegener in seiner Anfangszeit vieles selbst, hat er heute Mitarbeiter, die modellieren, schleifen, lackieren und das Make-up aufbringen.
Mohr Models gehört zu den Großen der Branche. Die Kunden schätzen die Qualität der verwendeten Lacke, das Make-up, das anders als sonst üblich in Öl und mit Pinsel aufgetragen wird. Wegener plant bereits den nächsten großen Schritt: Werden die Körperteile der Figuren aus Kostengründen bislang in Asien hergestellt, will er diesen Produktionsteil nach Deutschland zurückholen. Umwelt, soziale Verantwortung und Qualität sind ihm wichtiger als maximal erreichbarer Gewinn.

ECF – Gemüse und Fisch da anbauen und züchten, wo die Konsumenten sind
Die ECM Containerfarm im Freigelände der „Malzfabrik“ hat es in sich. Karpfen, Tomaten, Salat und Kräuter bilden eine Wohngemeinschaft, die Karpfen schwimmen in einem Tank im Inneren des Containers, die Pflanzen wachsen im Glashaus auf dem Dach des Containers.
Nicolas Leschke, neben seinem Job für die IGG Malzfabrik auch Gründer und Geschäftsführer von ECF, hat die Idee der kombinierten Fisch- und Gemüsezucht gemeinsam mit zwei weiteren .Gründern zum Businessmodell entwickelt.
Der Clou des Ganzen: Das Abwasser der Fischzucht wird recycelt, Bakterien verwandeln das in den Ausscheidungen der Fische enthaltene Ammonium in Nitrat, das den Pflanzen als Dünger dient. Die Pflanzen entziehen dem aufbereiteten Wasser die Nährstoffe und wirken so als Kläranlage der Aquakultur. Das Wasser, das die Pflanzen abgeben und sich als Kondensat unter dem Glasdach sammelt, fließt zurück in die Fischzucht. „Aquaponic“ ist der Fachausdruck für die Symbiose aus Fisch- und Gemüsezucht.
Der nächste Schritt: Das ECF-Team arbeitet an der Fertigstellung der ersten Aquaponic-Farm mit 1.000 qm Gemüse-, Kräuter- und Fischaufzucht auf dem Malzfabrik-Gelände. Dann kann im hauseigenen Shop fangfrischer Buntbarsch und frisch geerntetes Gemüse erworben werden.
„Bergstübli“-Küchenchefin Sylvie Schürer wird zu den ersten Kundinnen gehören.

Text: Jochen Heyermann
Kontext Kommunikation
10.10.2012

Foto: Wolfgang Beinert

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