Die Zukunft war früher auch besser.

Oder: wo Karl Valentin irrte

Die Erde dreht sich und nimmt uns mit, ob es uns gefällt oder nicht. Wir erleben dabei zwei Geschwindigkeiten, zum Einen das von uns nicht beeinflussbare Tempo unserer äußeren Welt, zum Beispiel bei technologischen oder wirtschaftlichen Entwicklungen. Zum Anderen hat jeder von uns seine eigene „innere Geschwindigkeit“, die im Wesentlichen auf unseren privaten und beruflichen Umständen basierenden Ansichten und Haltungen bestimmt wird.

Über Erfahrung …

Selbstständige Designer entwickeln idealerweise eine Arbeitsumgebung die zu Ihnen passt, etwa in der Art und Ausstattung Ihres Büros, der Anzahl der Mitarbeiter oder der Arbeitsschwerpunkte. Sie werden durch große Stammkunden und der Art ihrer Aufträge geprägt, so dass sich im Laufe der Zeit immer homogenere Kundenstrukturen und Arbeitsgebiete herausbilden. Das so entstehende Profil ist eine gute Sache, denn es gibt beiden Seiten mehr Stabilität und Routine und dem Designbüro finanzielle Sicherheit.

Erfahrungen bergen aber auch ein Risiko in sich, da mit dem Maß unserer Routine auch die Bereitschaft abnimmt, sich auf Neues einzulassen. Die Neugier gegenüber neuen Technologien, neuen Stilen, neuen Kommunikationsformen und Märkten lässt infolge der Gewöhnung allmählich nach – also genau das, was uns in unseren beruflichen Anfangsjahren oft elektrisierte. Wer für etwas begeistert ist, tauscht sich gerne mit Anderen aus, das ist auch bei Designern so. Weicht mit der Routine das Interesse am Design, lässt auch der Austausch mit den Kollegen nach und damit die Möglichkeit, von ihnen Neues zu erfahren oder sich neu motivieren zu lassen.

… über Veränderungen …

Wer als Selbstständiger viele Kontakte hat und pflegt, ist für die Zukunft auch fachlich besser gerüstet. Vielleicht als Zwang oder mühevoll empfundene Neuerungen und Wandlungen verlieren oft ihren Schrecken, wenn sie – zum Beispiel in der AGD-Regionalgruppe – von Kollegen vorgestellt werden. Neue Technologien gehören zum Alltag, das kann etwa das zusätzliche Layouten für Tablet-Computer sein oder der 3D-Druck der den Arbeitsprozess, z.B. von Produktdesignern, massiv verändern wird. Auch unsere Kommunikationskanäle ändern sich, neue Produkte und Dienstleistungen ersetzen das Bekannte. So spielt der Druck eine immer geringere Rolle im Medienmix, was aber zugleich bedeutet dass es weitere neue Medien gibt, die ebenfalls zu managen und zu gestalten sind. Meistens berichten Designer die sich ein neues Gebiet erschließen, im Kollegenkreis neben ihre technischen Erfahrungen auch über die Chancen und Risiken im Designbusiness. Hier sind in Wandelprozessen genau die Designer gefragt, die wissen wie medienübergreifende Strategien und Konzepte entwickelt werden. Die wissen wie Leitgedanken für jeden Kanal spezifisch umzusetzen sind, und die darüber hinaus ein auf Erfahrung und Routine beruhendes Bauchgefühl haben. Gänzlich fatal ist es, auf Neues und Ungewohntes mit einem „Das tue ich mir nicht mehr an“ zu reagieren, weil damit zugleich Teile des eigenen Geschäfts preisgegeben werden.

… und eigenen interessen …

Im Privatleben verläuft es kurioserweise genau umgekehrt, da wenden wir uns sehr wohl Neuem zu: Weil sich das eigene Wertesystem verändert, entwickeln die meisten der über Vierzig- und Fünfzigjährigen neue Schwerpunkte und Interessen. Sind Nestbau und Brutpflege abgeschlossen, oder ist das Designbüro weitgehend konsolidiert, kann man endlich konzentriert seinen Neigungen nachgehen. So haben nicht wenige AGD- Kollegen das getan, was sie schon immer machen wollten. Otto Landgraf aus Berlin konnte sich auf einer stabileren Basis endlich verstärkt seinen Themen Nachhaltigkeit und Werte zuwenden, und nun in Arbeitsgruppen wie Seminaren für sie eintreten. Karen Friedrichs aus Hamburg bildete den künstlerischen Schwerpunkt heraus, der ihr schon lange am Herzen lag. Beide tun dies mit oder neben ihren Designbüros auf eine hochprofessionelle Weise, dabei helfen ihnen die über lange Zeit im Designbusiness erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten. Viele Facebook- und Xing-Postings unserer vierzig- / fünfzigjährigen Designerinnen und Designer künden von ihren neuen Interessen und Motivationen. Dieses Alter ist günstig, um die eigene Entwicklung zu forcieren, denn man weiß, was man hat und wie es geht – und vor allem hat man die Möglichkeit für einen großen Wurf und mehr Mut. So kann das Gefühl für ein weiteres Geschäftsfeld in eine Aktion umgesetzt werden. Der Illustrator Michael Kalde aus Hildesheim baute neben seiner Agentur einen Verlag auf. Zunächst bildete ein sich gut verkaufendes Fachbuch das Fundament, auf dem er nun seinen Wunsch realisieren möchte: Das Verlegen deutscher Klassiker in einem Design, das sowohl den Texten als auch heutigen Lesern gerecht wird. Oder Matthias Schwert, AGD- Regionalsprecher aus München, scribbelte schon immer gerne, auch bei Besprechungen. So entdeckte er vor sieben Jahren Graphic Recording für sich – es ist nun sein gewinnträchtigster Bereich.

Wenn unser Herz für etwas brennt, wollen wir mehr wissen, wir lernen und probieren wieder mehr, wir erfahren uns dabei auf eine neue Weise. Etliche von uns machen dann eine weitere Ausbildung, das Spektrum ist groß, es reicht von der bei Designern beliebten Coaching-Ausbildung über Erwachsenenpädagogik bis zur Kunsttherapie. Karin Girlatschek, gestandene Grafikdesignerin aus Ahrensburg bei Hamburg, absolvierte eine mehrjährige, berufsbegleitende Ausbildung zur Kunsttherapeutin. Ihre Motivation dafür ist ihr ureigenes Interesse an Menschen, ihren Persönlichkeiten mit innerlichen Befindlichkeiten und Biografien. Das Ziel ihrer Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ist, ihnen dabei zu helfen, mit den eigenen inneren Bildern wieder in Kontakt zu kommen. Andreas Hild aus Wetzlar verspürte nach der Wirtschaftskrise den Wunsch nach einem stärkeren künstlerischen Ausdruck. Und er beschreitet darüber hinaus einen Weg, den viele engagierte Designer gehen, er möchte sein Wissen gerne weitergeben. Sein Antrieb, auch für Andere da zu sein, zeigt sich unter anderem in seiner kunsttherapeutischen Arbeit für die Diakonie.

 … neue Ziele erreichen.

In Weiterbildungen und Qualifikationen erwerben wir zusätzliche Fähigkeiten oder lernen Menschen kennen, die auch im Beruf nützlich sein können. Nun könnte es auch für die berufliche Entwicklung spannend werden, weil alles da ist für eine schlichte Positionsbestimmung, eine Kursänderung oder gar einen Neuanfang. Denn kommen zu unseren persönlichen Erfahrungen, zum Gelernten und Ausgeübten neue Kenntnisse, Fertigkeiten und Motivationen hinzu, lässt sich vielleicht das Neue hervorragend mit dem Alten verknüpfen. Zum Beispiel beim AGD-Regionalsprecher Michael Zimmer aus Saarbrücken, der die in einjähriger Coachingausbildung erworbenen Kenntnisse in seiner Agentur für ehrliche Werbung anwendet. Dabei unterstützt er Kunden oder Kollegen bei der Entwicklung von persönlichen Zielen und erarbeitet mit ihnen Strategien, um sie zu erreichen.

Diese Verknüpfung der Designertätigkeit mit einem neuen Thema motiviert – ist sie darüber hinaus sinnvoll, kann sie finanziell ausgesprochen attraktiv sein. Diesen Dreh sollten wir raus haben, schon deshalb, damit die Erde sich nicht doch ohne uns dreht.

Ein Seminar zum Thema

Die AGD bietet im März oder April jeden Jahres eine zweitägige Veranstaltung für Designerinnen und Designer um die 40, 50, 60 an. Schwerpunkt ist das Aufspüren persönlicher Neigungen, Motivationen und Potenziale sowie deren Verknüpfung mit beruflichen Erfahrungen und Zukunftsplanungen.

(Andreas Maxbauer, Illustration: Markus Büsges)

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